Meyer, genannt Mayer von Bremen, Johann Georg
Das erste Gebet
Entstehungsjahr | 1859 |
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Technik | Öl auf Leinwand |
Maße | 39,9 x 32,4 cm |
Münchener-Nr. | 13647 |
Linz-Nr. | 519 |
Herkunft | Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen |
Beschreibung
Das Gemälde „Das erste Gebet“, ist in Öl auf Leinwand ausgeführt und mit „Meyer von Bremen 1859“ datiert und signiert.
Provenienz
Laut den auf der property card verzeichneten Ermittlungen des Collecting Points und der Treuhandverwaltung für Kulturgut München befand sich das Gemälde früher im Eigentum der Frau Anna Woerishoffer, New York, und ging später an deren Enkel Graf Seilern, Wien, über, der es dann im Juli 1938 zusammen mit anderen Gemälden an die Kunsthandlung Julius Böhler in München verkaufte. Dieser verkaufte einen halben Anteil an dem Gemälde an den Kunsthändler Karl Haberstock. Beide verkauften das Gemälde am 04.01.1939 an die Reichskanzlei in München, wo es für das Museum in Linz vorgesehen war.1
Umfangreiche Ermittlungen haben ergeben, dass Antoine Graf Seilern im Jahre 1901 in Großbritannien geboren wurde und von Geburt an die britische Staatsbürgerschaft besaß.
Das Archiv der Universität in Wien teilte auf Anfrage mit, dass Antoine Graf Seilern von 1933 bis 1937 an der Philosophischen Fakultät der Universität in Wien inskribiert war. Im April 1939 reichte er seine Dissertation beim Dekanat ein. Am 09.06.1939 wurde er zum Dr. phil. promoviert. In den dort vorhandenen Unterlagen konnte kein Hinweis darauf gefunden werden, dass er „jüdischer Mischling“ im Sinne der NS- Rassegesetze gewesen sei. Auf Grund seiner brit. Staatsbürgerschaft wurde er an der Wiener Universität als Ausländer geführt. Jüdischen Studenten wurde dort lediglich bis Ende 1938 „gnadenhalber“ die Möglichkeit gewährt zu promovieren. Sie erhielten eigene „Nichtarier“- Promotionstermine. Die Konfession von Graf Seilern wurde laut den in der Universität befindlichen Unterlagen mit röm.-kath. angegeben. Die jüdische Abstammung seiner Mutter, die aus einer deutsch - amerikanischen Zeitungsverlegerfamilie stammte und schon 1901 verstorben war, wird er wohlweislich verschwiegen haben.
Sein Vater, Carl Graf Seilern und Aspang, entstammte einer bekannten Familie des österreichischen Hochadels, die über Generationen im diplomatischen Dienst der k. u. k. Monarchie gestanden hatte.
In seinem Curriculum Vitae anlässlich der Einreichung seiner Dissertation erwähnt Graf Seilern, dass er in der zweiten Hälfte des Jahres 1938 in Italien gelebt hatte. Er ist mithin von dort nach Wien zurückgekehrt.
Der einzige Hinweis auf eine jüdische Abstammung Graf Seilerns und eine damit verbundene Diskriminierung ist ein von Dr. Brückler (BDA Wien) aufgefundenes Schreiben vom November 1938. Darin beklagt die Zentralstelle für Denkmalschutz in Wien gegenüber dem „Reichsstatthalter in Österreich“, dass ein ,namentlich nicht genannter, Wiener Aristokrat, der bisher durch eine jährliche Spende von 1.000 Schilling die Herausgabe des Wiener Jahrbuchs für Kunstgeschichte 1932 bis 1937 unterstützt hatte, nun nicht mehr um Hilfe gebeten werden konnte, „weil jetzt heraus kam, dass er den Bestimmungen der Nürnberger Rassegesetze nicht voll entsprechen soll“.
Im Bundesdenkmalamt Wien wurden Unterlagen aufgefunden, aus denen ersichtlich ist, dass Graf Seilern entsprechend den in Österreich seit 1918 bestehenden Gesetzen, um die Bewilligung der Ausfuhr seiner Kunstsammlung ersucht hat. Beiliegende Listen enthalten die als Übersiedelungsgut bezeichneten Gegenstände.
Die Ausfuhr der beantragten Kunstgegenstände wurde Graf Seilern am 10.05.1939 gebührenfrei bewilligt. Die Bewilligung war befristet und bis zum 10.09.1939 gültig. Am 01.08.1939 hatte der Leiter des Kunsthistorischen Museums Wien, Herr Demel, die Übernahme von zwei Predellenbildern, Apostel Petrus und Paulus darstellend, als Geschenk von Antoine Graf Seilern bestätigt.
Graf Seilern lebte bis 1978 in London und vererbte seine Kunstsammlung den Treuhändern für die Galerie des Courtauld Institutes in London. Ferner hinterließ er auch zwei weitere Gemälde dem Kunsthistorischen Museum in Wien. Diese Information stammt von Frau Helen Braham, die Graf Seilern persönlich kannte und jahrelang als Kuratorin seine umfangreiche Kunstsammlung betreute. In der Sammlung von Antoine Graf Seilern befanden sich im Übrigen zwei Gemälde, die er 1931 von seiner Großmutter Frau Anna Woerishoffer, geerbt hatte. Den Ausführungen von Frau Braham zufolge hätte er im Gegensatz zu seinen beiden Brüdern niemals die Gemälde seiner geliebten Großmutter verkauft.
Der deutsche Kunsthistoriker Rolf Andree, der ein Werkverzeichnis der Malers Arnold Böcklin erstellt hat2 , recherchierte in diesem Zusammenhang auch nach einem Böcklin – Gemälde in der Sammlung des Grafen Seilern. Im Nachlass Andree, der im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg verwahrt wird, befindet sich ein Briefwechsel mit Graf Seilern. 1973 schrieb er an Rolf Andree, dass er das Böcklin Gemälde von seiner Großmutter aus New York erhalten hatte, es dann nach Wien brachte und es zusammen mit seiner gesamten Sammlung im Jahre 1939 sicher nach London ausführte.
Im Vorwort zum Katalog der Sammlung „Princes Gate Collection“ beim Courtauld Institute of Art, London, über das Leben und Wirken von Antoine Graf Seilern heißt es: „Bis 1939 hatte er bereits eine beträchtliche Anzahl bedeutender Kunstwerke erworben. Unmittelbar vor Ausbruch des Krieges konnte er mitsamt dem Inhalt seines Hauses in Wien nach England umziehen, denn zu diesem Zeitpunkt hatte er die doppelte österreichisch – britische Staatsbürgerschaft aufgegeben und war britischer Untertan.“ Weil schon sein Vater die britische Staatsbürgerschaft besessen hatte, kann davon ausgegangen werden, dass auch seine beiden Brüder, Oswald und Charles, britische Staatsbürger waren. Im Übrigen wurde im Bundesdenkmalamt in Wien ein Ausfuhransuchen von Oswald Graf Seilern festgestellt.
Das Wiener Stadt- und Landesarchiv teilte auf meine Anfrage mit, dass in den Akten der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen und im Bestand der Akten über die Anmeldung entzogenen Vermögens zwar Carl Hugo (Charles), Oswald und Anton (Antoine) Seilern aufscheinen, die Akten aber keine Hinweise auf entzogene Gemälde beinhalten, sondern nur die Entziehung von Immobilien der Grafen Seilern belegen.
Fraglich ist, ob es sich bei dem Verkauf der heute im Bundesbesitz befindlichen Gemälde durch Antoine Graf Seilern um einen NS- verfolgungsbedingten Vermögensverlust im Sinne der Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke handelt, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, und eine Rückgabe der Bilder an das Courtault Institut of Art der Londoner Universität als Erbe der Sammlung angezeigt ist.
Offenbar sind die von Graf Seilern über die Kunsthändler Julius Böhler und Karl Haberstock für das Deutsche Reich erworbenen Gemälde nicht von ihm als verfolgungsbedingter Vermögensverlust angesehen und im Wege der Restitution zurückgefordert worden. Weder von den Kunstschutzoffizieren der Alliierten Besatzungsmächte noch von der Treuhandanstalt für Kulturgut München und dem übergeordneten Bundesschatzministerium sind diese Gemälde als NS-verfolgungsbedingt belasteter Besitz bekannt gewesen. In den vom Bundesarchiv Koblenz verwalteten Unterlagen konnten noch sechzehn ehemals aus der Sammlung Seilern erworbene Kunstwerke ermittelt werden, von denen sich heute nur noch fünf im Ressortvermögen der Bundesfinanzverwaltung befinden.3
Mindestens acht Gemälde wurden in den Jahren 1962, 1963 und 1969 verkauft.
Infolge des Krieges kamen im Verhältnis zum Ausland die Vorschriften über die äußere Restitution zur Anwendung, welche in erster Linie vorsahen, dass die dort entzogenen Vermögensgegenstände „von der Regierung des Landes angefordert werden, aus dem sie entfernt worden sind“ (Wengler, RzW 1949/50, 196, 199). Die äußere Restitution wurde dann später im Fünften Teil des Überleitungsvertrages (Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen, BGBl 1955 Teil II, S. 432 ff.) eingehend geregelt und sah neben den Regierungen der (dort genannten) Staaten, aus denen Vermögenswerte entfernt wurden, auch Einzelpersonen, denen Sachen durch Diebstahl oder Zwang entzogen wurden, als Anspruchberechtigte vor.
Eine Anfrage beim Bundesamt für Äußere Restitution ergab, dass weder das in Rede stehende Gemälde noch andere von Graf Seilern verkaufte Kunstwerke von Seiten der Republik Österreich oder von ihm im Wege der Äußeren Restitution angemeldet worden sind.
Die Regelungen der inneren Restitution für Deutschland verlangten neben dem Nachweis der Verbringung eines Vermögensgegenstandes in den Geltungsbereich der Alliierten Rückerstattungsgesetze den Nachweis einer verfolgungsbedingten Entziehung.
Rückerstattungsakten nach Graf Seilern konnten nicht ermittelt werden.
Graf Seilern galt im Sinne der Nürnberger Rassegesetze, die in Österreich unmittelbar nach dem 13.3.1938 in Kraft traten, als Jude und zählte mithin zum Personenkreis, den die deutsche Regierung oder die NSDAP in seiner Gesamtheit durch ihre Maßnahmen vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen beabsichtigte (vgl. Art.1 Rückerstattungsanordnung für Berlin, Anordnung BK/O (49)180 vom 26.07.1949 –REAO-). Gemäß Art. 3 REAO wird bei Rechtgeschäften Kollektivverfolgter nach dem 15.09.1935 ein Kausalzusammenhang zwischen den Verfolgungsmaßnahmen und einem rechtsgeschäftlichen Vermögensverlust vermutet, der nur widerlegt werden kann, wenn nachgewiesen wird, dass der Käufer einen angemessenen Kaufpreis erhielt, über den Kaufpreis frei Verfügen konnte und das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus zustande gekommen wäre.
Allerdings unterfallen die von im Ausland lebenden deutschen oder ausländischen Juden vorgenommenen Rechtsgeschäfte regelmäßig nur dann der in den Alliierten Rückerstattungsgesetzen geregelten Vermutungsregel, wenn die Betroffenen „Vermögen in Deutschland besaßen“ (BVerwG VIZ 2000, 94f.; KG Berlin, RzW 1951, 222 zur REAO; OLG Hamburg, RzW 1949/50, 442 und WGK Bielefeld RzW 1949/50, 321 zum brit. REG; RK Koblenz, RzW 1949/50, 157 zum franz. REG; WK Mannheim, RzW 1949, 56 zum am. REG). Für das amerikanische Rückerstattungsgesetz wurde überdies festgestellt, dass es „auf Entziehungen, die im Ausland stattgefunden haben“ keine Anwendung findet (OLG München, RzW 1949/50, 172). Diese Einschränkung wurde u.a. darauf gestützt, dass es sich um ein innerdeutsches Gesetz handele, welches auch nur auf innerdeutsche Entziehungsfälle angewandt werden konnte.
Der Bundesgerichtshof hat allerdings später in einer Entscheidung aus dem Jahre 1956 festgestellt, dass die im Gebiet der Bundesrepublik erlassenen Rückerstattungsgesetze regelmäßig – ohne Rücksicht auf den Ort der Entziehung – schon dann anzuwenden seien, wenn unrechtmäßig entzogene Vermögensgegenstände innerhalb ihres Geltungsbereiches feststellbar sind (BGH RzW 1956, 240 in einem Verfahren wegen Entziehung eines Betriebes in Wien).
Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht in einem auf die Veräußerung inländischen Grundbesitzes bezogenen Fall entschieden, dass auch „ohne Anwendung der Vermutungsregelung des Art. 3 des II. Abschnitts der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juli 1949 (VOBl für Groß – Berlin I, S.221) (...) bei einer im Sommer 1938 erfolgten Grundstücksveräußerung durch Bürger jüdischer Herkunft von einem Anscheinsbeweis dafür ausgegangen werden (kann), dass sie auf die allgemeine Diskriminierung und Verfolgung durch den NS – Staat zurückzuführen waren, wenn die Veräußerung in engem zeitlichen Rahmen mit einer nachfolgenden Auswanderung aus Deutschland stand“ (BVerwG VIZ 1997, 99).
Soweit eine rechtsgeschäftliche Veräußerung eines Verfolgten im ehemals besetzten Ausland stattfand und dort zum maßgeblichen Zeitpunkt ein vergleichbarer Verfolgungsdruck bestand, wird demnach unter den genannten Voraussetzungen von einem Anscheinsbeweis zugunsten eines verfolgungsbedingten Verkaufs auszugehen sein, wobei neben der genannten „nachfolgenden Auswanderung“ auch die in engen zeitlichen Zusammenhang mit der Veräußerung stehende Festsetzung diskriminierender Sonderabgaben (z.B. in Gestalt der sog. Judenvermögensabgabe) einen typischen immer wiederkehrenden Geschehensablauf darstellt, der einen Anscheinsbeweis für einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust rechtfertigt.
Der Anscheinsbeweis ist im vorliegenden Fall widerlegbar. Der nach der Lebenserfahrung typische Verlauf fand hier nicht statt.
Antoine Graf Seilern gehörte zwar als „Mischling ersten Grades“ grundsätzlich zum Personenkreis der aus rassischen Gründen NS - Verfolgten. Jedoch war zum Zeitpunkt des Verkaufs der Gemälde im Juli 1938 laut den Unterlagen des Archivs der Wiener Universität offenbar nicht bekannt, dass seine (bei seiner Geburt verstorbene) Mutter nach den Bestimmungen der Nürnberger Rassegesetze vermutlich als Jüdin galt. Graf Seilern galt auf Grund seiner britischen Staatsbürgerschaft als Ausländer. Zwar waren auch ausländische Juden verpflichtet bis zum 31.08.1938 ihr inländisches Vermögen anzumelden. Vermögensanmeldungen der Grafen Seilern sind jedoch in Wien nicht auffindbar. Auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung und der britischen Staatsangehörigkeit werden sie vermutlich keine Vermögensanmeldung abgegeben haben. Sie konnten weder zur Zahlung der Reichsfluchtsteuer noch der Judenvermögensabgabe (ab November 1938 gesetzlich geregelt) herangezogen werden. Der Verkauf der Gemälde dürfte demnach nicht wegen einer erzwungenen Zahlung von diskriminierenden Sonderabgaben und damit einhergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten erfolgt sein.
Nach dem Graf Seilern laut eigener Auskunft die zweite Jahreshälfte des Jahres 1938 in Italien verbracht hatte, kehrte er nach Wien zurück und konnte im Gegensatz zu den als Juden verfolgten Personen promovieren. Er ist dann erst im September 1939 mit seiner gesamten Habe nach London übersiedelt, ein ganzes Jahr nach dem Verkauf der o.g. Gemälde an den Kunsthändler Böhler, die im Übrigen nicht dem Profil seiner Sammlung entsprachen.
Bei Würdigung der vorliegenden Fakten erscheint das Rechtsgeschäft des Verkaufs der Gemälde durch Antoine Graf Seilern im Juli 1938 nicht als ungerechtfertigte Entziehung im Sinne der Rückerstattungsgesetze.
Stand: 2004
1 Vgl. Aussagen des Kunsthändlers J. Böhler vom 15.02. und 21.04.1951 im Bundesarchiv Koblenz B323/331 und Nachlaß des Kunsthändlers K. Haberstock in den Kunstsammlungen d. Stadt Augsburg
2 „Die Gemälde – Arnold Böcklin“ München, Basel 1977
3 Vgl. Mü-Nr. 10067, Mü-Nr. 2336, Mü-Nr. 9396, Mü-Nr. 13647