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Netscher, Caspar

Bildnis eines jungen Herrn mit Buch

Entstehungsjahr ohne Jahr
Technik Ölmalerei auf Eichenholz
Maße 27 cm x 21,5 cm
Münchener-Nr. 50160
Linz-Nr. 3703
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Caspar Netscher (1639-1684) fertigte das „Bildnis eines jungen Herrn mit Buch“ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt.1 Der Maler, der bei Gerard Terborch ausgebildet wurde, widmete sich wie sein Lehrer der Porträt- und Genremalerei.2  Bis zum Ende der 1660er Jahre entstanden zahlreiche Motive aus dem einfachen oder wohlhabenden bürgerlichem Milieu. Vermutlich hat Netscher den hier porträtierten jungen Mann in dieser Periode gemalt, denn in den darauf folgenden Jahrzehnten trat das bürgerliche Genrebild in seinem Werk in den Hintergrund.

Provenienz

Zeittafel
früherH.A. Wetzlar, Amsterdam3
26.6.1944Von dort über die Kunsthandlung Gustav Cramer, Den Haag, an das „Referat Sonderfragen – Kunsterwerb“ für hfl. 8.000 verkauft4
 Weiterleitung an den „Sonderauftrag Linz“ (Linz-Nr. 3703)

Der Property Card kann entnommen werden, dass das Porträt in früherem Besitz von H.A. Wetzlar, Den Haag, gewesen war. Am 26. Juni 1944 wurde es von der Kunsthandlung Gustav Cramer, ebenfalls Den Haag, für das Deutsche Reich erworben. Der Preis betrug hfl. 8.000.

Die Recherchen im Bundesarchiv Koblenz bestätigten, dass das Bildnis über Gustav Cramer am 26. Juni 1944 für hfl. 8.000 an den „Sonderauftrag Linz“ verkauft wurde.5 Aus einem Formular, das nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Den Haag erstellt wurde, geht hervor, dass das Porträt ehemals H.A. Wetzlar, Amsterdam, gehört hatte.6 Als letzter Besitzer wird der Name Goepel genannt.

Gustav Cramer (1881-1961) übernahm 1914 die Kunsthandlung seines Großvaters Max Cramer in Kassel.7 Nach Ende des Ersten Weltkrieges ging Gustav Cramer nach Berlin, um dort als Leiter der Abteilung „Alte Kunst“ der bekannten Kunsthandlung „Van Diemen“, einer Filiale des Margraf-Konzerns, zu arbeiten. Cramer eröffnete 1933, nach dem Tod des damaligen Inhabers Albert Loeske, ein eigenes Geschäft in der Lennéstraße in Berlin. Da Cramer, der selbst Jude war, mit einer Christin verheiratet war, galt er zunächst als privilegierter Jude und konnte seinen Geschäften unbehelligt nachgehen. Dies änderte sich, als er Ende 1936 aus der Reichskulturkammer der bildenden Künste aufgrund seiner jüdischen Herkunft ausgeschlossen worden war. Im April 1938 emigrierte er mit seiner Familie nach Den Haag, wo er die Kunsthandlung „Oude Kunst“ in der Javastraat 38 eröffnete. Nach der Besetzung durch die deutschen Truppen war seine Existenz erneut in Gefahr. Auf Rat eines Mitarbeiters der deutschen Botschaft in den Niederlanden übertrug Gustav Cramer seinem Sohn Hans Max das Geschäft, da dieser nicht als Volljude galt. Die Übertragung im September 1942 war jedoch nur eine Formalität, da der Sohn damals erst 20 Jahre alt war. Offiziell trat zwar der Sohn als Geschäftsführer auf, die Leitung hatte aber immer noch der Vater im Hintergrund inne. Vermutlich hatte Cramer sich diese Privilegien durch Tarngeschäfte mit deutschen Behörden erworben.

Vor dem hier geschilderten Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Rechnungen für das Porträt von Netscher sowie das „Bildnis eines Jünglings als David“ (mü 8420) von Domenico Fetti, welches sich auch in Bundesbesitz findet, ebenfalls gefälscht wurden. Dafür spricht – nach Mitteilung von Hans Cramer –, dass außer den Rechnungen keine weitere Korrespondenz zu den Verkäufen überliefert ist. Diese Aussage bestätigte sich sowohl im Nachlass von Gustav Cramer im Getty Research Center wie auch im Bundesarchiv Koblenz.

Der auf dem Formular (Intern Aangifte formulier) genannte Wetzlar war ein holländischer nichtjüdischer Kunsthändler, der in Amsterdam vor allem mit Werken von geflohenen jüdischen Deutschen gehandelt hatte.8

Zum jetzigen Zeitpunkt der Recherchen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei dem Gemälde um einen NS-verfolgungsbedingten Verkauf handelte. Die Untersuchungen ergaben, dass das „Bildnis eines jungen Herrn mit Buch“ von Gustav Cramer durch Vermittlung des holländischen Kunsthändlers Wetzlar an den „Sonderauftrag Linz“ verkauft wurde, wobei die Abwicklung des Kaufvertrages durch Cramer rein formal erfolgte. Weiterhin unklar ist jedoch, seit wann und von wem Wetzlar das Porträt erhalten hatte.

Vor dem hier geschilderten Hintergrund bleibt die Provenienz ungeklärt, zumal alle bekannten Quellen ausgeschöpft sind. Ein NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust kann nicht ausgeschlossen werden.

Stand: 2004

1 Das Porträt ist nicht enthalten vgl. Wieseman 2002.
2 Zum Künstler allgemein vgl. Thieme/Becker, Bd. 25/26, Leipzig 1999, S. 398.
3 Für das Folgende vgl. BADV Berlin, Property Card, Mü-Nr. 50160. Weitere auf der Karteikarte vermerkte Inventarnummer ist Mü Kripo 142. Auf der Property Card steht fälschlich Den Haag.
4 BArch, B323/102, LF II/41/229 und 230.
5 Rechnung von Cramer an den „Sonderauftrag Linz“, Den Haag, 26.6.1944. Vgl. BArch, B323/102, LF II/41/229 und 230.
6 Intern Aangifte formulier, Den Haag, 7.11.1945. Vgl. BArch, B323/100, LF I.
7 Nachlass Cramer Gallery Archive, 2001.M.5, im: Getty Research Center, Los Angeles.
8 Yeide/Akinsha/Walsh 2001, S. 287.

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