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Cranach der Ältere, Lukas

Verkündigungsengel (Fragment)

Entstehungsjahr um 1515
Technik Öl auf Holz
Maße 69 x 27 cm
Münchener-Nr. 5550
Linz-Nr. Keine
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Lucas Cranach d.Ä. (1472-1553) ist der Hauptmeister der „sächsischen-mitteldeutschen Schule“. Er ist der Begründer eines außerordentlich erfolgreichen Stils und Werkstattbetriebs sowie einer Künstlerdynastie, deren Dauer und Wirksamkeit über mehrere Generationen in der Epoche ohne Parallele ist.1 Nach mutmaßlicher Wanderschaft arbeitete Cranach ca. 1495-1498 in der Werkstatt seines Vaters. Im Jahre 1504 wurde er als Nachfolger von Jacopo de’Barbari zum Hofmaler des kursächsischen Herzogs, Friedrich III. des Weisen, berufen. Im darauf folgenden Jahr eröffnete er eine Werkstatt in Wittenberg. Neben religiösen Themen traten ab 1509 auch profane hinzu. Weitreichende künstlerische und persönliche Folgen hatte für Cranach die Reformation ab 1517. Er wurde nicht nur zum Porträtist Luthers, dem er auch persönlich verbunden war, sondern auch als Bildschöpfer im Rahmen der (eher bilderfeindlichen) reformatorischen Lehre zu einem Protagonisten der protestantischen Bewegung und zum Begründer der protestantischen Ikonographie.

In Bundesbesitz befinden sich 17 Gemälde, die von Lukas Cranach d.Ä. oder seiner Werkstatt gefertigt wurden.

Dargestellt ist ein in weißem Gewand gehüllter Engel, der sich nach links fortbewegt. Er hält die Rechte erhoben und trägt in der Linken einen Brief mit einem roten Siegel.

Provenienz

Zeittafel
Bis 19.12.1919Hofrat Sigmund Röhrer (1861-1929), München
19.12.1919Von Hofrat Röhrer als „Cranach Schule“, Nr. 19_1022, gemeinsam mit Hugo Helbing, München, von der Kunsthandlung Julius Böhler, München, erworben
10. 4.1935Von Kunsthandlung Böhler an Reichskreditgesellschaft
1935Hochzeitsgeschenk der Reichskreditgesellschaft an Hermann Göring, inventarisiert als RM 6

Die TVK München ermittelte, dass die Holztafel früher im Bestand der Münchener Kunsthandlung Böhler war.2 Von dort wurde sie am 10. April 1935 vom Vorstand der Reichskreditgesellschaft als Hochzeitsgeschenk an Hermann Göring gegeben.

Die erneuten Recherchen ergaben folgendes:3 Im Werkverzeichnis von Max Friedländer ist das Gemälde nicht enthalten.4 Die Lagerbücher und Korrespondenzakten der Münchener Kunsthandlung Julius Böhler werden im Bayerischen Wirtschaftsarchiv in München aufbewahrt. Die dazugehörige Kartei ist jedoch als Mikrofiche im Getty Institute vorhanden. Die Kartei enthält eine Karte zum „Verkündigungsengel“. Demnach wurde das Kunstwerk am 19. Dezember 1919 von Hofrat Sigmund Röhrer (1861-1929)5 , München, als „Cranach Schule“ Nr. 19_1022, gemeinsam mit Hugo Helbing, ebenfalls München, durch die Kunsthandlung Böhler erworben.6 Da das Lagerbuch aus dem Jahr 1919 nicht erhalten ist, kann die genaue Konstruktion der Käufergemeinschaft nicht näher beschrieben werden.

Die Münchener Kunsthandlung Hugo Helbing wurde 1885 gegründet. Hugo Helbing war am 23. April 1863 in München geboren worden. In erster Ehe war er mit Sophie, geborene Liebermann, verheiratet und hatte mit ihr zwei Söhne, Rudolf und Friedrich David (Fritz). Rudolf verstarb bereits als Säugling. Fritz, der am 16. Dezember 1888 in München geboren wurde, war drei Mal verheiratet. Alle Ehen blieben kinderlos. Die erste Ehefrau verstarb ca. 1924. Die zweite Ehe mit Martha, geborene Wild, wurde ca. 1938 geschieden. Die dritte Ehefrau war Doris, geborene Goldstein.7 Fritz und Doris Helbing wurden 1942 oder 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Der Vater, Hugo Helbing, heiratete am 16. Juni 1926 seine zweite Frau Lydia Ludwina, geborene Vorndran, geboren am 10. April 1884 in Würzburg.8

Die Firma Hugo Helbing wurde als OHG in das Handelsregister München eingetragen. Als Gesellschafter wurde 1906 Theodor Neustätter in die Firma aufgenommen. 1915 traten Dr. Ernst Spiegel und Fritz Helbing als Gesellschafter ein. Am 31. Dezember 1935 trat Fritz Helbing aus, am 7. April 1936 verstarb Neustätter und am 1. Dezember 1936 schied Ernst Spiegel aus. Am 14. Januar 1938 wurde die OHG aufgelöst und das Vermögen mit Aktiva und Passiva auf Hugo Helbing als Alleininhaber eingetragen.9

Der Kunsthandlung Helbing wurde bereits 1933 die Versteigerungserlaubnis entzogen, so dass die jüdischen Inhaber in ihrer Geschäftstätigkeit stark eingeschränkt waren.10 1935 verkaufte Hugo Helbing ein Privatgrundstück, um das Unternehmen wirtschaftlich besser zu stellen.11

Am 9. November 1938 wurde die Firma Hugo Helbing zwangsweise geschlossen, weil ihr alleiniger Inhaber, Kommerzienrat Hugo Helbing, Jude war. Von der Reichskunstkammer wurde als Treuhänder Max Heiß, Referent für Kunsthandelsfragen beim Landesleiter der Reichskammer für bildende Künste, eingesetzt.12 In der Reichspogromnacht wurde Hugo Helbing verhaftet und zusammengeschlagen; er verstarb am 30. November 1938 an seinen schweren Verletzungen.

Wahrscheinlich zu Beginn des Jahres 1935 wurde das Cranach-Gemälde von Böhler an die Reichskreditgesellschaft verkauft. Zu dieser Transaktion gibt es keine Unterlagen, da der Korrespondenzband für 1935 fehlt.13 Am 10. April 1935 überreichte der Vorstand der Reichskreditgesellschaft (Erka oder RKG) das Bild als Hochzeitsgeschenk an Hermann Göring.14 Die Reichskreditgesellschaft war die Konzernbank der reichseigenen Vereinigten Industrieunternehmungen AG (VIAG), die 1924 zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt wurde.

Das Cranach-Gemälde wurde unter der Nummer RM 6 in der Sammlung Hermann Göring inventarisiert und befand sich 1939 im Wohnzimmer seiner Frau Karin in Carinhall.15 1937 wurde das Bild in Berlin ausgestellt.16 Der Leihgeber war „Ministerpräsident Generaloberst Hermann Göring“.17

Es konnte nicht geklärt werden, ob die Tafel tatsächlich von 1919 bis zum Weiterverkauf im Jahre 1935 im Besitz der Kunsthandlung Böhler war. Da die Verkündigungsszene gemeinsam von Helbing und Böhler 1919 erworben wurde und Helbing ab 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht mehr versteigern durfte, ist ein NS-verfolgungsbedingter NS-Verkauf nicht auszuschließen.

Vor dem hier geschilderten Hintergrund bleibt daher die Provenienz ungeklärt, zumal alle Quellen ausgeschöpft sind. Anhaltspunkte für weitere Recherchen liegen derzeit nicht vor.

Stand: 2008

1 Für das Folgende vgl. Saur 1999, Bd. 22, S. 169-170.
2 Für das Folgende vgl. BADV Berlin, Property Card, Mü-Nr. 5550. Eine weitere auf der Karteikarte vermerkte Inventarnummer lautet B’garden 505. Zudem ist ein Zollstempel vermerkt.
3 Die Recherchen wurden im Auftrag des BADV von Facts & Files, Berlin, durchgeführt.
4 Max J. Friedländer und Jakob Rosenberg (Hg.), Die Gemälde von Lukas Cranach, Berlin 1932.
5 Zur Biographie Röhrers vgl. Die Sammlung Röhrer 1926.
6 Getty Research Institute, Records of Julius Böhler, Munich, 1904-1940, Karteikarte.
7 StaM, WB I, N 7035, Wiedergutmachungsbehörde I Oberbayern München, Erbengemeinschaft nach Helbing Hugo, Hölzermann Alwine Maria gegen das Deutsche Reich, 1964 Rückerstattungsantrag /Wegen Versagung der Versteigerungserlaubnis, Verkauf von Aktiven des Unternehmens, Kosten der treuhänderischen Verwaltung und Liquidationskosten.
8 StaM, WB I, N 7035.
9 StaM, WB I, N 7035.
10 StaM, WB I, N 7035.
11 StaM, WB I, N 7035.
12 BWA, K1 XXI, 16b, 24. Akt, Fall 31, „Arisierungsakte“ zur Firma Hugo Helbing.
13 Auskunft des BWA an Facts & Files vom 30. April 2008.
14 Inventar und Fotografien der Kunstwerke aus der "Sammlung Göring", so genannte Göring-Vorkriegskartei. Vgl. BArch, B 323, Nr. 57.
15 Auf der Karteikarte ist als Standort der Tafel vermerkt: „20. Juni 1939: Wohnzimmer Frau Göring, Carinhall“. Vgl. ebd.
16 Lucas Cranach 1937, Kat. Nr. 28, S. 20.
17 Ebd.

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