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Re­sti­tu­ti­on und Ver­wal­tungs­han­deln

Ju­ris­ti­sche Rah­men­be­din­gun­gen bei der Um­set­zung der Rück­ga­be­ent­schei­dung

von Harald König*

Mit den auf der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust (1998) verabschiedeten Prinzipien sowie mit der Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände aus dem Jahre 1999 wurde die Bereitschaft bekräftigt, Provenienzen aufzuklären und bei der Feststellung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes eine faire und gerechte Lösung zu suchen. Oftmals hat und wird die faire und gerechte Lösung in der Rückgabe des Vermögensgegenstandes liegen.

Der zu einer solchen Lösung führende Prozess durchläuft dabei zunächst die Phase der Tatsachenermittlung, also der Aufklärung der Provenienz des betreffenden Kunst- oder Kulturgutes, an welche sich dann die Bewertung der ermittelten historischen Tatsachen anschließt. Demjenigen, der diese Aufgaben wahrnimmt, wird Verwaltungshandeln in vielfältiger Form begegnen, zum Teil wird er selbst als Verwaltungsangehöriger den Rahmenbedingungen des Verwaltungshandelns unterworfen sein.

Bereits in der Phase der Tatsachenermittlung begegnen dem Provenienzforscher immer wieder Geschehnisse und Ereignisse, die maßgeblich von Verwaltungsmaßnahmen geprägt sind. So war der Zugriff des NS-Regimes auf das Vermögen der Verfolgten[1] in weiten Teilen durch Gesetze und Verordnungen[2] geregelt, welche wiederum durch die zuständigen Verwaltungsbehörden umgesetzt wurden. Die Absicht der nationalsozialistischen Machthaber, sich des Vermögens der jüdischen Bevölkerung zu bemächtigen, trat spätestens im Jahre 1938 offen zutage.[3] Mit der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.04.1938[4] wurde u.a. der Beauftrage für den Vierjahresplan (Herman Göring) beauftragt, »die Maßnahmen [zu] treffen, die notwendig sind, um den Einsatz des anmeldepflichtigen Vermögens im Einklang mit den Belangen der deutschen Wirtschaft sicherzustellen«.

Mit der Verordnung wurde allen Juden auferlegt, ihr gesamtes Vermögen anzumelden, zu bewerten und Veränderungen anzuzeigen. Die Vermögensanmeldungen bestanden aus einem vierseitigen Vordruck, welcher teilweise detaillierte Angaben zu den einzelnen Vermögenswerten enthält. Im Einzelfall können diese Dokumente bei der Identifizierung und Zuschreibung eines Kunstgegenstandes zu dem jeweiligen Besitzer hilfreich sein kann.

Die Vermögensanmeldungen waren zunächst bei den Behörden der Innenverwaltung abzugeben, später fiel diese Aufgabe den Finanzbehörden zu.[5] Die Finanzbehörden des Reiches waren überdies bei der Erhebung der Reichsfluchtsteuer und der Judenvermögensabgabe sowie bei der Deportation und der Vermögensverwertung beteiligt.[6] In einem Kommentar aus dem Jahre 1939 zu der sog. Judenvermögensabgabe wird die Rolle der Finanzverwaltung – wie folgt – beschrieben:

»Die Finanzämter sind damit im Kampf des nationalsozialistischen Reichs gegen das Judentum in vorderster Front eingesetzt.«[7]

Über die Art und Weise, in der sich das Verwaltungshandeln dieser Behörden vollziehen sollte, gibt ein Erlass vom Herman Göring Auskunft, der unmittelbar nach den Novemberpogromen im Jahre 1938 formuliert wurde:

»Die Übernahme jüdischer Betriebe und sonstiger Vermögenswerte aus jüdischem Besitz hat nur auf streng gesetzlicher Grundlage gemäß den dafür erlassenen Vorschriften zu erfolgen.«[8]

Mit der Besetzung der europäischen Nachbarstaaten wurden neue Dienststellen und Behörden eingerichtet, deren Aufgaben den vor Ort vorgefundenen Besonderheiten Rechnung trugen. In den Niederlanden etwa kam es zu der Einrichtung einer Sammelverwaltung Feindlicher Hausgeräte, deren Aktivitäten in der Literatur – wie folgt – beschrieben werden:

Bis zu den Pogromen vom November 1938 hatten die Niederlande eine verhältnismäßig große Zahl Emigranten aufgenommen. Außerdem waren die Niederlande ein Durchgangsland für Flüchtlinge nach überseeischen Ländern. Als die Niederlande im Mai 1940 überfallen wurden, lagerte Umzugsgut in erheblichem Umfang in den niederländischen Häfen, das später durch die ‚Sammelverwaltung feindlicher Hausgeräte‘ beschlagnahmt wurde. Der Name wollte den Eindruck erwecken, als ob es sich um das Eigentum feindlicher Bürger handelte. In Wahrheit jedoch war es das Umzugsgut (früherer) deutscher Staatsangehöriger, für dessen Beschlagnahme als Rechtfertigung ihr Aufenthalt im feindlichen Ausland ins Feld geführt wurde. Abgesehen davon, daß die Mehrheit der Geschädigten noch die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, befanden sich diese größtenteils in den Vereinigten Staaten oder in südamerikanischen Ländern, mit denen das Deutsche Reich zur Zeit der Beschlagnahme noch nicht im Kriegszustand war.[9]

Der in einem Einzelfall aufgefundene Schriftwechsel dieser Behörde enthält detaillierte Inventarlisten über die beschlagnahmten Einrichtungsgegenstände, zu denen auch Kunstgegenstände zählten.[10]

Obgleich der Zugriff auf das jüdische Vermögen in einer Vielzahl von Vorschriften geregelt wurde und die mit deren Ausführung betrauten Behörden einer »strengen« Gesetzesbindung unterliegen sollten, darf nicht übersehen werden, dass einmal gesetztes Unrecht, das offenbar gegen konstituierende Grundsätze des Rechts verstößt, nicht dadurch zu Recht wird, dass es angewendet und befolgt wird.[11]

Nationalsozialistischen Vorschriften, welche fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit evident widersprechen, muss deshalb die Geltung als Recht abgesprochen werden, da anderenfalls – mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts – »der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde.«[12]

Hier wird deutlich, dass die im Rechtstaatsprinzip verankerte Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz, die im Grundgesetz in Artikel 20 Abs. 3 ihren Niederschlag gefunden hat, mit der Umsetzung der Verfolgungsgesetzgebung durch die NS-Behörden nichts zu tun hat.

Sowohl in der Phase der Tatsachenermittlung als auch bei der Beurteilung und Wertung des der Provenienzgeschichte eines Kunstwerkes zugrunde liegenden Sachverhaltes kommen den überlieferten Aktenbeständen der Wiedergutmachungsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland[13] eine besondere Bedeutung zu. Sie enthalten Angaben zu den Besitz- und Eigentumsverhältnissen sowie den konkreten Umständen, welche den verfolgungsbedingten Verlust der beantragten Vermögenswerte herbeiführten. In diesen Verfahren finden sich Originaldokumente und Aussagen von Zeitzeugen, welche oftmals eine wertvolle und ergiebige Quelle für die Provenienzforschung darstellen.[14]

In ihrer Tätigkeit unterlagen die Wiedergutmachungsbehörden der gerichtlichen Kontrolle. Ihre Entscheidungen konnten vor den zuständigen Gerichten angefochten werden, was wiederum eine Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen nach sich zog. Grundsätzliche Entscheidungen der Gerichte finden sich in den über 30 Jahrgängen der Fachzeitschrift »Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht« (RzW).

Bei der Bewertung ermittelter Sachverhalte sollten diese Entscheidungen – soweit relevant – Berücksichtigung finden, da die Gerichte basierend auf einer Fülle von Fakten, Dokumenten, Zeugenaussagen etc. geschichtliche Tatsache[15] ermittelten und sich auf zeithistorische Fakten[16] stützen. Auf dieser Grundlage waren und sind (auch) die Gerichte bemüht, eine faire und gerechte Lösung[17] zu finden. Um dieses Wissen für weitere Verfahren nutzen zu können, wurde im März 1962 bei dem Landgericht Berlin das Archiv für Wiedergutmachungssachen (AfW Berlin) eingerichtet. Die Aufgabe des Archivs bestand darin, Material über die Entziehung von Vermögenswerten jüdischer Verfolgter (Bibliotheken, Briefmarkensammlungen, Edelmetallgegenständen, Kunstgegenständen, Wohnungseinrichtungen, etc.) zu sammeln und zentral zu erfassen. Der Bestand wurde mit dem Material anderer Archive (z. B. des Bundesarchivs, des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes sowie des Central Office der United Restitution Organisation) ergänzt.[18] Das Archivmaterial befindet sich heute im Landesarchiv Berlin.[19]

Auch in den heute noch anhängigen Verfahren nach dem Vermögensgesetz, welches für das Beitrittsgebiet die Restitution von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Vermögensgegenständen regelt, ist – mit den Worten des Bundesverwaltungsgerichts – der »Rückgriff auf die alte rückerstattungsrechtliche Rechtsprechung [ist] bei der Auslegung des § 1 Abs. 6 VermG geboten«.[20]

 

Der Umstand, dass mit § 1 Abs.6 VermG für das Beitrittsgebiet ein Rechtsanspruch auf Restitution NS-verfolgungsbedingt entzogener Vermögenswerte geschaffen wurde, bringt es mit sich, dass in diesen Verfahren die Rahmenbedingungen des Verwaltungshandelns maßgeblich von den in diesem Gesetz getroffenen Regelungen bestimmt wird. Während es sich bei der Gemeinsamen Erklärung (der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes) aus dem Jahre 1999 lediglich um eine Absichtserklärung in Gestalt eines Programmsatzes handelt, die keinen Rechtsanspruch begründet[21], wird mit der Entscheidung im vermögensrechtlichen Verfahren mit Eintritt der Bestandskraft/Unanfechtbarkeit eine vollziehbare hoheitliche Maßnahme getroffen. Anträge nach dem Vermögensgesetz, welche NS-verfolgungsbedingt entzogene Vermögenswerte zum Gegenstand haben, fallen seit dem 01.01.2004 in die Zuständigkeit des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen (BARoV).[22]

Die Gemeinsame Erklärung beinhaltet eine Selbstverpflichtung der dem Bund, den Ländern oder Kommunen unterstehenden Einrichtung; demgegenüber regelt das Vermögensgesetz auch gegen Privatpersonen gerichtete Restitutionsansprüche.

Soweit Kunstgegenstände in einem Verfahren nach dem VermG beantragt wurden, unterliegt der Verfügungsberechtigte der Verfügungssperre nach § 3 Abs. 3 VermG. Der derzeitige Verfügungsberechtigte ist danach verpflichtet, den Abschluss dinglicher Rechtsgeschäfte, d.h. also auch die Herausgabe an Dritte zu unterlassen, solange das Verfahren nicht abgeschlossen ist.[23] Die Missachtung der Verfügungssperre kann ggf. Schadensersatzansprüche auslösen.[24] Allerdings kann das Verfahren nach dem Vermögensgesetz auch durch eine gütliche Einigung zwischen dem Verfügungsberechtigten und dem Antragsteller beendet werden. Da aber in großer Zahl Verfahren auf entsprechende Anmeldungen der Jewish Claims Conference (JCC) beruhen, ist eine Rückgabe an den ehemaligen Eigentümer oder dessen Erben in Rahmen einer nach dem VermG vorgesehenen gütlichen Einigung in diesen Fällen nicht ohne Beteiligung der JCC möglich.[25]

Die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Vermögenswerte nach § 1 Abs. 6 VermG erstreckt sich »nur auf solche NS-Verfolgungsmaßnahmen, die eine Gebietsbezogenheit zum Beitrittsgebiet aufweisen.«[26] Einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kann entnommen werden, dass damit lediglich Vermögensentziehungen von § 1 Abs. 6 VermG erfasst sind, »die im Zuge von NS-Verfolgungsmaßnahmen auf dem Gebiet der späteren sowjetischen Besatzungszone und DDR vorgenommen worden waren.«[27] In einen vor dem Landgericht München I verhandelten Verfahren hat das Gericht es als ausreichend erachtet, dass sich der Vermögensgegenstand im Zeitpunkt der Entziehung auf dem Gebiet der (ehemaligen) DDR befand, obgleich er sich später – und zwar bis zum Zeitpunkt des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland – nicht auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sondern dem Gebiet der Bundesrepublik befand.[28] Ob sich damit also das Vermögensgesetz tatsächlich auch auf Vermögensgegenstände erstreckt, welche zwar auf dem Territorium der ehemaligen DDR entzogen worden waren, später allerdings auf das Gebiet der westlichen Bundesländer gelangten, ist nicht unumstritten. Eine endgültige Klärung dieser Frage wird wohl erst die zukünftige Entwicklung der Rechtsprechung mit sich bringen.

* Die nachfolgenden Ausführungen geben die persönlichen Auffassungen des Verfassers wieder. Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen auf der Tagung Von der Provenienzforschung zur Restitution geraubten Kulturguts: politischer Wille und praktische Umsetzung in Berlin am 23. September 2004 gehaltenen Vortrag.

[1] Vgl. hierzu u.a. van der Leeuw, Der Griff des Reiches nach dem Judenvermögen, RzW (Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht), 1970, S. 383ff.

[2] Eine Übersicht über die Verfolgungsgesetzgebung bieten: J. Walk (Hrsg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, 2. Aufl., Heidelberg 1989 und Bruno Blau, Das Ausnahmerecht für die Juden in Deutschland 1933–1945, 2. Aufl., Düsseldorf 1954.

[3] Van der Leeuw, aaO, S. 383.

[4] Reichsgesetzblatt Teil I, S. 414.

[5] Vgl. M. Friedenberger, K-D. Gössel, E. Schönknecht (Hrsg.), Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus, Bremen 2002, S. 19; Zum Verbleib der Aktenbestände vgl.: Heinz Boberach u. a. (Bearb.), Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates. Die Überlieferung von Behörden und Einrichtungen des Reiches, der Länder und der NSDAP, München; New Providence; London; Paris; – T. 1 – 2. – 1991 – 1995; Texte und Materialien zur Zeitgeschichte; Bd. 3 Teil 1 (Quellen und Materialien zur Zeitgeschichte 3/1), München 1991.

[6] AaO, S. 19 ff.

[7] AaO, S. 10; Zur Rolle der Finanzverwaltung vgl. auch: Reimer Voß, Steuern im Dritten Reich – Vom Recht zum Unrecht unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 1995.

[8] Van der Leeuw, aaO (FN: 1), S. 386.

[9] Karlsberg in: Bundesminister der Finanzen/Schwarz (Hrsg.), Das Bundesrückerstattungsgesetz, Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, München 1981, S. 554.

[10] Vgl. den Bestand R 177/775 im Bundesarchiv Berlin.

[11] So das BVerfG in einer Entscheidung zur 11. VO zum Reichsbürgergesetz: BVerfGE 23, 98.

[12] BVerfG, aaO.

[13] Vgl. das Verzeichnis der Ansprechpartner für Anfragen und Aktenanforderungen bei: Pötter, Zeitschrift für offene Vermögenfragen (ZOV) 1995, 415, 426.

[14] Vgl. Pötter, aaO, S. 416.

[15] Vgl. BVerwG ZOV, 2004, 47ff.

[16] Ebd.

[17] Vgl. die Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischen Besitz.

[18] Vgl. Schlecht, RzW 1964, 11.

[19] Wetzel (Hrsg.), Das Landesarchiv Berlin und seine Bestände, Berlin 1992, S. 250.

[20] BVerwG, ZOV 2004, 47; BVerwGE 114, 68.

[21] Vgl. Messerschmidt, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2001, 289, 290.

[22] Vgl. § 29 Abs. 3 VermG nach Inkrafttreten des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes (EntschRÄndG) vom 10.12.2003, BGBl. Teil I, S. 2471.

[23] Siehe hierzu auch die entsprechende Empfehlung in den Handreichungen vom Februar 2001 zur Umsetzung der Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der Kommunalen Spitzenverbände (abrufbar unter www.lostart.de), S. 103f.

[24] Ebd.

[25] Ebd.

[26] BVerwG, Zeitschrift für Vermögens- und Investitionsrecht (VIZ) 2000, 719, 720.

[27] BVerfG VIZ 2004, 220,221 zu einer Entscheidung des BVerwG vom 02.09.2000, BARoV-RÜ 03/2001, S. 14 ff.

[28] LG München I, Urteil vom 12.03.2003, Az.: 15 O 21407/02.