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Rück­for­de­rung fi­nan­zi­el­ler Wie­der­gut­ma­chungs­leis­tun­gen

im Zu­sam­men­hang mit der Ge­mein­sa­men Er­klä­rung der Bun­des­re­gie­rung, der Län­der und der kom­mu­na­len Spit­zen­ver­bän­de

von Ha­rald Kö­nig*

Im Vorwort zum Programm dieses Seminars heißt es einleitend:

Provenienzforschung bezieht sich auf Herkunft und Vorbesitz.

Ich denke, dass Provenienzforschung im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände und dem damit verfolgten Ziel, zwischen 1933 und 1945 verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter zu ermitteln und ggf. zurückzugeben, über die Ermittlung der Herkunft und des Vorbesitzers hinaus gehen muss. Die Entscheidung zugunsten der Rückgabe eines Objektes an den ehemaligen Eigentümer oder seine Erben kann nur dann getroffen werden, wenn auch die Umstände des Vermögensverlustes näher untersucht wurden.

Provenienzrecherche muss sich deshalb sowohl mit den tatsächlichen als auch den rechtlichen Verhältnissen auseinander setzen, die das Schicksal der Betroffenen in der Zeit zwischen 1933 bis 1945 bestimmt haben. Ferner sollten auch die erst nach 1945 geschaffen Vorschriften und Verfahren zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in die Recherche einbezogen werden. Denn, in großer Zahl haben die Opfer von Verfolgungsmaßnahmen in der Nachkriegszeit Wiedergutmachungsverfahren betrieben und in diesen Verfahren sowohl ihr Verfolgungsschicksal als auch den Verlust von Vermögenswerten detailliert geschildert.

Diese Verfahrensakten sind damit eine wertvolle und oft auch ergiebige Quelle für die Provenienzrecherche.

Die Prinzipien der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust und die Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der Kommunalen Spitzenverbände zielen darauf ab, nationalsozialistisches Unrecht wiedergutzumachen. Beide Erklärungen reihen sich damit in die vielfältigen Bemühungen um die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts ein, die sowohl in Verträgen und Gesetzen als auch in einer langjährigen Wiedergutmachungspraxis ihren Niederschlag gefunden haben. Die Bedeutung und der Stellenwert der erneuten Bemühungen, Provenienzen aufzuklären und verfolgungsbedingt entzogene Vermögenswerte zurückzugeben, erschließt sich nur durch die Einbeziehung dieser in der Vergangenheit erbrachten staatlichen Wiedergutmachungsleistungen. Außerdem läßt sich das angestrebte Ziel, nämlich im Einzelfall zu einer »fairen und gerechten«[1] Lösung zu gelangen, nur dann erreichen, wenn alle für den Einzelfall relevanten Umstände in die Überlegungen einbezogen werden.

Die Bundesrepublik Deutschland hat nach dem II. Weltkrieg in vielfältiger Weise finanzielle Wiedergutmachungsleistungen für in der NS-Zeit erlittenes Unrecht erbracht. Ich werde mich allerdings nur mit solchen Ersatzleitungen befassen, die Privatpersonen für den verfolgungsbedingten Verlust von Kulturgütern zustanden.

Da die Wiedergutmachung im Beitrittsgebiet erst im Zuge der Wiedervereinigung einer umfassenden Regelung unterzogen wurde, sind für die alte Bundesrepublik einerseits und das Beitrittsgebiet anderseits unterschiedliche Regelungen maßgeblich. Das Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG) vom 19.Juli 1957[2] beinhaltete dabei die zentralen Vorschriften für das Territorium der alten Bundesrepublik. Demgegenüber werden im Beitrittsgebiet finanzielle Wiedergutmachungsleistungen für NS-Unrecht nach dem Vermögensgesetz (VermG) in Verbindung mit dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (NS-VEntschG) vom 27. September 1994 erbracht.

Sowohl das BRüG als auch das NS-VEntschG beziehen sich für die Berechnung der Höhe der zu erbringenden Entschädigungsleistung auf den Stichtag 1. April 1956 (§ 16 BRüG; § 2 NS-VEntschG). Der Gesetzgeber hat sich also bei den erst im Jahre 1994 in Kraft getretenen Regelungen an dem orientiert, was bereits in den in den 50er Jahren für die Berechnung von Entschädigungsleistungen galt. Dem Umstand, dass diese Wiedergutmachungsleistungen erst seit der Wiedervereinigung erbracht werden konnten, wurde durch eine entsprechende Verzinsung Rechnung getragen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung[3] aus dem Jahre 2000 das mit der Anknüpfung an den bereits nach dem BRüG geltenden Stichtag verfolgte Ziel – wie folgt zusammengefasst:

»Die Anspruchsberechtigten sollten so gestellt werden, als hätten sie in der sowjetischen Besatzungszone und späteren Deutschen Demokratischen Republik Wiedergutmachung wie im Westen erhalten, das heißt nach dem Wiederbeschaffungswert des entzogenen Objekts am 1. April 1956.«

Nach diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Wiedergutmachung an den Gleichheitssatz und das Willkürverbot gebunden. Das NS-VEntschG entspricht diesen Vorgaben.

Das Bundesrückerstattungsgesetz aus dem Jahre 1957 regelte die nach den (alliierten) Rückerstattungsgesetzen nicht durchsetzbaren, (und deshalb lediglich) auf einen Geldbetrag oder Schadensersatz gerichteten Rückerstattungsansprüche gegen das Deutsche Reich und bestimmte gleichzeitig, dass diese Ansprüche durch die Bundesrepublik zu erfüllen sind.

Das Gesetz umfaßt Ansprüche auf Rückerstattung von Vermögenswerten, die verloren oder untergegangen waren, oder deren Herausgabe aus anderen Gründen unmöglich war. Die Verfahren nach dem BRüG sind im Wesentlichen abgeschlossen und haben zu finanziellen Wiedergutmachungsleistungen in Höhe von rund 3,9 Mrd. DM geführt.[4]

Daneben regelte das BEG die Ansprüche von Personen, die wegen ihrer politischen Überzeugung, aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung verfolgt wurden und hierdurch bestimmte Personen- und Sachschäden erlitten hatten. Dies waren insbesondere Schäden an Leben, Körper oder Gesundheit, aber auch Schäden an Eigentum und Vermögen sowie im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen. Zu den Vermögensschäden zählt auch der sog. Verschleuderungsschaden, der bis zu einem Höchstbetrag von 75.000 DM entschädigt werden konnte. Viele Verfolgte hatten nämlich zur Finanzierung ihrer Ausreise u.a. Hausrat oder Geschäftseinrichtungen veräußern müssen. Nach Erlass der Nürnberger Rassegesetze (September 1935) kam es vermehrt zu den damals so bezeichneten »Judenauktionen« und viele Erwerber nutzen diese Gelegenheiten und zahlten nur verschwindend geringe Preise. Der den Betroffenen daraus entstandene Verschleuderungsschaden wurde nach § 56 BEG ersetzt, wenn der Verfolgte seine Sachen an ihm namentlich unbekannte Personen veräußert hatte.[5] Auch der Eigentumsschaden, der wegen Imstichlassens entstand, war geregelt (§ 51 BEG).

Alle Regelungen, die finanzielle Wiedergutmachungsleistungen für NS-Unrecht vorsehen, folgen dem Grundgedanken, wonach Schadensersatzleistungen nur dem tatsächlich Berechtigten zufließen sollen[6] und Doppelleistungen vermieden werden müssen.[7] Dieser Grundsatz wurde auch bei den für das Beitrittsgebiet geschaffenen Vorschriften beachtet.[8] Zum einen liegt diesem Prinzip der Gedanke zugrunde, dass mit den einmal geleisteten Schadensersatzleistungen der Schadensausgleich herbeigeführt ist. Zum anderen dient das Verbot von Doppelleistungen auch dem Gleichbehandlungsgrundsatz, da sichergestellt wird, dass innerhalb der Gruppe der Berechtigten willkürliche Ungleichbehandlungen oder Privilegierungen, welche z. B. durch die mehrfache Zahlung eines Wertausgleiches entstehen würden, vermieden werden.

Doppelleistungen liegen allerdings nicht nur in den Fällen vor, in denen für ein und denselben Schaden mehrfach Wertersatz geleistet wird. Vielmehr muss auch in den Fällen von einer Doppelleistung gesprochen werden, in denen der Betroffenen zunächst finanziell durch den Wertersatz für den erlittenen Verlust entschädigt wird, ihm dann aber später – zusätzlich – der entzogenen Vermögensgegenstand zurückgewährt wird. Der mit der Rückgabe – eigentlich – beabsichtigte Schadensausgleich kann dann nicht eintreten, wenn eben dieser Ausgleich bereits durch die Zahlung des Wertersatzes herbeigeführt wurde und der Betroffene den zuvor erhaltenen Wertersatz nicht zurückzahlt. Überdies würde der Betroffene gegenüber allen anderen Opfern von NS-Unrecht privilegiert, ohne dass ein sachlicher Grund diese Besserstellung rechtfertigen könnte. Das Fehlen eines sachlichen Grundes, der eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte, ließe die Maßnahme als willkürlich erscheinen.

Auch in der Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände wird diesem Grundsatz Rechnung getragen. Dort heißt es:

»Diese Prüfung schließt den Abgleich mit bereits erfolgten materiellen Wiedergutmachungsleistungen ein. Ein derartiges Verfahren ermöglicht es, die wahren Berechtigten festzustellen und dabei Doppelentschädigungen (z. B. durch Rückzahlung von geleisteten Entschädigungen) zu vermeiden.«

Die Handreichungen empfehlen deshalb eine Archivanfrage bei der Oberfinanzdirektion Berlin, da dort über 1 Mio. Akten zu Rückerstattungsverfahren lagern.

Der Grundsatz der Vermeidung von Doppelleistungen findet auch über die Grenzen Deutschlands hinaus Beachtung. Eine in Frankreich tätige Kommission[9], die sowohl über Entschädigungen als auch über die Rückgabe von Kulturgütern befindet, berücksichtigt ggf. bereits nach dem Bundesrückerstattungsgesetz dem Betroffenen gewährte Wiedergutmachungsleistungen.[10] Auch eine kürzlich in Großbritannien eingerichtete beratende Kommission[11] hat in einem bereits behandelten Kunstrückgabefall die aus Deutschland erbrachten finanziellen Wiedergutmachungsleistungen in ihre Überlegungen einbezogen.[12] Ebenso berücksichtigt eine in Belgien eingerichtete Kommission[13] bereits erbrachte Entschädigungsleistungen.[14]

Da es sich bei der Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände um eine freiwillige Selbstverpflichtung handelt, der sich die jeweiligen Institutionen unterworfen haben, liegt es grundsätzlich in ihrem Verantwortungsbereich, die Frage nach ggf. schon erbrachten Wiedergutmachungsleistungen in Vorfeld der Entscheidung über die Rückgabe von Kulturgut zu klären. Auskünfte über die entsprechenden Verfahren erteilt die Oberfinanzdirektion Berlin. Es bietet sich darüber hinaus an, in den Fällen, in denen eine Wiedergutmachungsleistung zurück zu gewähren ist, die Rückgabe des entzogenen Kulturgutes von der Zahlung des entsprechenden Betrages abhängig zu machen.

Die Oberfinanzdirektion Berlin kann nämlich ihrerseits nur dann tätig werden, wenn sie über die beabsichtigte Rückgabe in Kenntnis gesetzt wird. Zudem bestehen rechtlich nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, nach vollzogener Rückgabe einen Rückzahlungsanspruch durchzusetzen. Das BRüG selbst sieht z.B. eine Durchbrechung der Rechtskraft von begünstigenden Verwaltungsakten nur dann vor, wenn sich der Antragsteller unlauterer Mittel bedient hatte.[15]

Vereinzelt kam es allerdings in Rückerstattungsverfahren auch zu gerichtlichen Vergleichen, in denen der Streit über die Höhe der zu gewährenden Entschädigung einvernehmlich beigelegt wurde. Oft wurde dann auch vereinbart, dass die geleistete Entschädigung zurück zu zahlen ist, wenn der entzogene Vermögenswert nachträglich ermittelt und an den Antragsteller überstellt wird. In diesen Fällen besteht dann ein durchsetzbarer Rechtsanspruch.

Wegen der eingeschränkten Möglichkeiten, Entschädigungen zurück zu fordern, kann seitens der Oberfinanzdirektion an alle betroffenen Institutionen nur der Appell gerichtet werden, bei zukünftigen Rückgabefällen die dargestellten Aspekte zu berücksichtigen.

Provenienzrecherche mit dem Ziel, mögliches NS-Unrecht wiedergutzumachen, muss auch die Umstände des Vermögensverlustes im einzelnen aufzuklären; eine Gesamtbetrachtung und Beurteilung des Einzelfalls ist nur dann möglich, wenn auch solche Umstände recherchiert werden, die ggf. erst nach 1945 eingetreten sind. Da die Provenienzrecherche dem Ziel dient, eine »faire und gerechte Lösung« herbeizuführen, darf sie staatliche Wiedergutmachungsleistungen nicht unberücksichtigt lassen und es muss ggf. auch für deren Rückgewähr Sorge getragen werden.

* Die nachfolgenden Ausführungen geben die persönlichen Auffassungen des Verfassers wieder. Bei diesem Beitrag handelt es sich um die leicht bearbeitete Fassung eines auf der Tagung: Provenienzforschung für die Praxis, Recherche und Dokumentation von Provenienzen in Bibliotheken am 11./12. September 2003 in Weimar gehaltenen Vortrages (veröffentlicht in: AKMB-news. Jg. 9. Heft 3 (2003), S. 5ff.).

[1] Vgl. Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, veröffentlicht im Zusammenhang mit der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust, Washington, D. C., 3. Dezember 1998; Abrufbar unter www.lostart.de.

[2] Amtl. Titel: Bundesgesetz zur Regelung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reiches und gleichgestellter Rechtsträger (Bundesrückerstattungsgesetz – BRüG).

[3] BVerfG EuGRZ 2001, 344.

[4] Vgl. Bericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht sowie über die Lage der Sinti, Roma und verwandter Gruppen vom 31.10.1986, Bundestags-Drucksache 10/6287. S. 25; Schwarz, JuS 1986, 433, 436.

[5] Giessler, Gnirs, Hebestreit u.a.: Das Bundesentschädigungsgesetz Zweiter Teil in: Schwarz/Bundesminister der Finanzen (Hsg.) Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band V, München 1983, S. 26.

[6] Giessler, Gnirs, Hebestreit u.a.: Das Bundesentschädigungsgesetz Zweiter Teil in: Schwarz/Bundesminister der Finanzen (Hsg.) Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Band V, München 1983, S. 508, 509.

[7] Pötter, ZOV 1995, 415, 425f.

[8] Ebd.

[9] Commission pour l’indemnisation des victimes de spoliations (CIVS); www.civs.gouv.fr.

[10] Vgl. www.civs.gouv.fr/fr/savoir_plus/mat_appart_2.htm.

[11] Spoliation Advisory Panel, www.culture.gov.uk/.

[12] Vgl. report on the first claim be considered by the Spoliation Advisory Panel: Report Concerning a Claim in Respect of a Picture Now in the Posession of the Tate Gallery, January 2001, www.culture.gov.uk/cultural_property/spoliation_ad_panel.htm.

[13] Kommission für die Entschädigung der Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft Belgiens, deren Vermögen während des Zweiten Weltkrieges entzogen wurde oder zurückgelassen werden musste www.premier.fgov.be.

[14] Vgl. www.premier.fgov.be/d_html_index_image_swap.html.

[15] Biella, Buschbom, u.a.: Das Bundesrückerstattungsgesetz, in: Schwarz/Bundesminister der Finanzen (Hsg.): Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, Bd. 2, München 1981, S. 462ff. und 473ff.