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Goyen, Jan Josephsz. van

Flusslandschaft mit Fischern

Entstehungsjahr 1632
Technik Öl auf Leinwand
Maße 92 x 114 cm
Münchener-Nr. 4152
Linz-Nr. 992
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Jan Josephsz. van Goyen (1595–1656) war ein niederländischer Landschaftsmaler.[1] Während sein Frühwerk unter dem Einfluss seines Lehrers Esaias van der Velde (um 1590–1630) stand, erfuhr van Goyen ab 1626/1627 einen grundlegenden Wandel im Malstil, im Kompositionsschema sowie in der Farbgebung. Seine Landschaften erlangten durch intensive Zeichenstudien im Freien mehr Natürlichkeit. Der Malstil wurde flüssiger und freier, sein Pinselstrich wurde rasch und locker und ließ ihn über seinen Lehrer hinauswachsen. Dieser Wandel steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der holländischen Landschaftsmalerei. Im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts verfolgten holländische Maler die Idee, einer mehr naturverbundenen Landschaftskunst. Sie favorisierten die natürliche Wiedergabe der heimatlichen Landschaft und damit die Abkehr von der Fantasielandschaft. Van Goyen gehörte zu den wichtigsten Vertretern dieser vorwärtsstrebenden Malkunst. Zugunsten der Bildeinheit ordnete er zunehmend die Staffagefiguren, die er seit Ende der 1620er Jahre nahezu ausschließlich aus der Land- und Küstenbevölkerung rekrutierte, der Landschaft unter. In diese Zeit fiel auch seine Bevorzugung von Landschaften mit und ohne Wasserläufe. Die Flusslandschaften stellten in den 1630er Jahren, neben den Dorf- und Dünenlandschaften, seine beiden Hauptthemen dar. Für beide Genres verwandte er leuchtend warme Erdfarben, die „von jeher als ein Charakteristikum des Meisters und seiner Schule angesehen“ wurden.[2]

Das Gemälde zeigt im Bildmittelgrund eine Flusslandschaft mit einigen Segelbooten, während im Vordergrund Fischerkähne und mehrere Fischer bei ihrer Arbeit abgebildet sind. Im vordersten Kahn, der sich am unteren Bildrand befindet, sitzen zwei Männer, von denen sich der eine über den Bootsrand beugt, um einen Fischkorb aus dem Wasser zu holen. Am rechten Bildrand ziehen drei Fischer ein Netz aus dem Wasser. Auf der gegenüberliegenden Flussseite steht links eine Windmühle.

Das Werk ist signiert sowie datiert „J. v. Goyen 1632“.

Das Kunstwerk ist im Werkverzeichnis von Beck (1973) enthalten.[3] Darüber hinaus wurde die einschlägige Literatur zum Künstler überprüft.[4]

Folgende Hinweise können der Rückseite entnommen werden:  in blauer Fettkreide „1452“ (Mü-Nr.); in Schwarz, zweimal „K 1448“ (Kremsmünster); weißes, blau umrandetes Etikett mit perforiertem Rand „992/707“ (Linz-Nr.); in Bleistift „2“ (nicht identifiziert); in roter Fettkreide, zweimal „5“ (nicht identifiziert); in Schwarz, gestempelt „91“ (nicht identifiziert).

[1] Für das Folgende vgl. Hans-Ulrich Beck, Jan van Goyen 1596–1656. Ein Œuvreverzeichnis, Amsterdam 1973, Bd. 1, S. 39–44.

[2] Cornelis Hofstede de Groot, zitiert nach Beck 1973, S. 44.

[3] Vgl. Beck 1973, Bd. 2, S. 216, Kat. 446, dort mit dem Titel „Fischer bei der Arbeit“ bezeichnet. Beck konnte den weiteren Verbleib des Gemäldes nicht klären. So war ihm auch nicht bekannt, dass sich die Landschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Bundesbesitz befindet. Aus Mangel an einer fotografischen Abbildung verwendete er eine Radierung des Ölgemäldes von Friedrich Böttcher, die 1883 in der Zeitschrift für bildende Kunst abgedruckt worden war. Vgl. Anonym, Zwei Radierungen nach Gemälden von Jan van Goyen, in: Zeitschrift für bildende Kunst, Bd. 18, Leipzig 1883, S. 135f.

[4] Ohne Treffer: Cornelis Hofstede de Groot, Beschreibendes und Kritisches Verzeichnis der Werke der hervorragendsten holländischen Maler des 17. Jahrhunderts. Nach dem Muster von John Smith's catalogue raisonné, Bd. 8, Jan van Goyen, Jan van der Heyden, Johannes Wijnants, Esslingen 1923.

Provenienz

Zeittafel
1883Galerie H. O. Miethke, Wien
(…) 
Bis 22.–24.11.1927Nachlass Viktor und Helene Mautner-Markhof, Wien, versteigert auf Auktion beim Auktionshaus für Altertümer Glückselig, Wien
(…) 
O. J.Galerie Almas, München
Vermutlich nach August 1940Reichsvermögen („Sonderauftrag Linz“)
Ab Sommer 1943Eingang in das Bergwerk Alt-Aussee
13.07.1945Eingang in den Central Collecting Point München
Seit 1949Bundesvermögen

Dem Werkverzeichnis von Beck (1973) ist zu entnehmen, dass sich das Gemälde im Jahre 1883 bei der Wiener Galerie H. O. Miethke befand.[1]

Vom 22.–24. November 1927 stand das Werk im Rahmen der Nachlassversteigerung von Viktor und Helene Mautner-Markhof beim Auktionshaus für Altertümer Glückselig in Wien zum Verkauf.[2] Im zugehörigen Auktionskatalog ist es als „Holländische Flußlandschaft mit Mühle und Fischern“ unter der Losnummer 30 verzeichnet und abgebildet. Es fand für 9.200 Schilling einen Käufer, zu dessen Identität  derzeit keine weiteren Informationen vorliegen.[3]

Laut einer Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste habe sich das Gemälde im Folgenden in der Sammlung von Dr. Ernst und Helene Bunzl, Wien, befunden.[4] Eine Eigentümerschaft konnte trotz umfangreicher Recherchen nicht nachgewiesen werden.

Der Wiener Rechtsanwalt und Sammler Dr. Ernst Adolf Bunzl (1888–1962) und seine Ehefrau Helene Bunzl (1897–1938), geborene Waerndorfer, besaßen eine umfangreiche Kunstsammlung, die unter anderem Grafiken deutschsprachiger Künstler des 15. bis 19. Jahrhunderts, Asiatika, Bibliotheksgut, Silberwaren, Gläser, Möbel und Teppiche umfasste.[5] Nach dem  „Anschluss“ Österreichs galt  Dr. Bunzl nach den sogenannten Nürnberger Gesetzen als Jude. Er emigrierte am 17. September 1938 über Jugoslawien und Frankreich nach Brasilien. Zuvor meldete er die Ausfuhr von Vermögensgegenständen an, die an die Wiener Spedition Hausner übergeben wurden. Das aus Österreich zunächst nach Pantin bei Paris transportierte Umzugsgut von Dr. Bunzl gelangte am 8. August 1941 in das „dépôt de la Douane Centrale“, wo es von deutschen Stellen beschlagnahmt worden ist.[6] Das Gemälde von Jan van Goyen „Holländische Flußlandschaft mit Mühle und Fischern“ befand sich mit hoher Wahrscheinlichkeit jedoch bereits seit 1940 im Eigentum des Deutschen Reiches[7] und im Zeitraum nach Mai 1941 im Depot in Kremsmünster.[8] Im Jahre 1958 meldete Dr. Bunzl Schadenersatzansprüche nach dem Bundesrückerstattungsgesetz an.[9] In seiner Aufzählung der verfolgungsbedingt verlorenen Kunstwerke nannte er unter anderem „eine Flusslandschaft sehr guter Qualität aus der Auktion Mautner-Markhof in Wien stammend, deren Maler nicht feststand“. Im Rahmen der Nachlassauktion des Ehepaares Mautner-Markhof beim Auktionshaus Glückselig in Wien 1927 wurden mehrere hochwertige Gemälde von niederländischen Künstlern versteigert, auf denen maritime Themen dargestellt sind. Das Gemälde „Flusslandschaft mit Fischern“ wurde als eigenständige Arbeit des Künstlers Jan van Goyen angeboten.[10] Darüber hinaus war auch die Künstlersignatur auf dem Werk im zugehörigen Auktionskatalog verzeichnet, so dass der „Maler“ zweifelsfrei feststand. Eine Werksidentität kann daher ausgeschlossen werden.

Gemäß der Property Card des CCP München im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes befand sich das Gemälde zunächst zu einem unbekannten Zeitpunkt bei der Münchener Galerie Almas.[11] Laut eigener Aussage vom 16. August 1951 erwarb die Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich das Werk von der Galerie Böhler in München. Diese Auskunft konnte im Rahmen neuerer Recherchen widerlegt werden.[12]

Maria Almas-Dietrich (1892–1971), geborene Dietrich, betrieb nach eigenen Angaben seit 1918 eine Kunsthandlung in München.[13] Im Jahre 1921 heiratete sie den türkischen Staatsbürger Ali Almàs-Diamant und trat zum Judentum über. Seit 1926 lebten sie jedoch in Trennung, 1937 erfolgte die Scheidung. Der Name „Almas“ blieb jedoch für die Galerie erhalten. Nach eigenen Angaben lernte Almas-Dietrich im Jahre 1936 Heinrich Hoffmann (1885–1957), den Fotografen Adolf Hitlers, kennen und erhielt über diesen erste Aufträge, Kunst für Hitler zu erwerben. Fortan entwickelte sie sich zu den aktivsten Vermittlern von Kunst an die Nationalsozialisten. Zwischen 1936 und 1944 verkaufte Almas-Dietrich über eintausend Kunstwerke an Hitler und zählt damit zu den Kunsthändlern mit der größten Anzahl an Hitler verkauften Kunstwerken. Am 15. Januar 1940 wurde sie aufgrund einer eidesstattlichen Erklärung, dass sie keine Jüdin sei, im Deutschen Reich eingebürgert. Nach der Zerstörung ihrer Galerie bei einem Luftangriff am 20. April 1944 wurde der Betrieb in die eigene Villa an der Gustav-Freytag-Str. 5 im Herzogpark verlagert. Die amerikanische Besatzungsbehörde vernahm Maria Almas-Dietrich nach 1945 mehrfach zu ihren Geschäften. Dabei wurden auch Unterlagen wie Geschäftsbücher beschlagnahmt und durch die Division MFA&A ausgewertet.[14]

Von der Galerie Almas wurde das Werk zu einem unbekannten Zeitpunkt vom Deutschen Reich für den „Sonderauftrag Linz“ erworben und erhielt die Linz-Nr. 992.[15] Auf den zugehörigen Property Cards National Archives and Records Administration in Washington D. C. ist als Erwerbungszeitraum sowohl „vor dem Krieg“ als auch „Sommer 1940“ vermerkt.[16] Keine der Angaben konnte im Rahmen der Recherchen verifiziert werden. Die Höhe der Linz-Nummer weist jedoch auf einen Erwerb im August 1940 oder später hin.[17]

Die Nummer K1448 auf der Property Card sowie auf der Rückseite des Werkes weist auf dessen Lagerung im Depot Kremsmünster hin.[18] Das beschlagnahmte Stift Kremsmünster in Österreich war das erste Auslagerungsdepot des „Sonderauftrages Linz“. Ab Mai 1941 wurden hier Kunst- und Kulturgüter untergebracht, die für das „Führermuseum“ erworben wurden.[19] Aus Sorge vor Luftangriffen, wurde das Depot bereits 1943 aufgelöst und dort gelagerte Objekte zunächst in Depots in Hohenfurt sowie Thürntal umgelagert.[20]

Um das Werk vor Kriegseinwirkungen zu schützen, erfolgte ab 1943 die Einlagerung in das Salzbergwerk Alt-Aussee in der Steiermark. Nach Sicherstellung durch US-Soldaten wurde es am 13. Juli 1945 in den Central Collecting Point in München verbracht.[21] Am 1. Dezember 1948 übergab die amerikanische Militärregierung das Kunstwerk mit allen ebenfalls  bis dahin nicht bereits restituierten Kunstgegenständen in die Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten, Hans Ehard (1887–1980). Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Werk 1949 gemäß Artikel 134 Grundgesetz Bundesvermögen.

Vor dem hier geschilderten Hintergrund bleibt nach dem bisherigen Kenntnisstand die Provenienz ungeklärt.[22]

 

Bearbeitungsstand: 2020

[1] Beck 1973, Bd. 2, S. 216.

[2] Für das Folgende vgl. Nachlass Victor und Helene Mautner-Markhof. Gemälde moderner und alter Meister, Skulpturen, Mobiliar, Porzellan etc., Auktionshaus für Altertümer Glückselig Ges. m. b. H., Wien, 22.–24.11.1927, S. 12, Los 30, mit Abb.

[3] Vgl. P.-N., Sammler und Markt, in: Der Cicerone. Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers, Jg. 20, Heft 1 (1928), S. 46.

[4] Vgl. Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Lost Art-Datenbank, Objektgruppe. URL: www.lostart.de/DE/Verlust/568434 (Abruf: 19.12.2019).

[5] Für das Folgende vgl. Beschluss des Kunstrückgabebeirats beim Bundeskanzleramt, Wien vom 11.01.2019. URL: www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Bunzl_Ernst_2019-01-11.pdf (Abruf: 19.12.2019).

[6] Vgl. BADV-Archiv, 42 WGA 145/59, Bl. 36. Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Georg Dittmar an die Sondervermögens- und Bauverwaltung, Berlin vom 01.08.1960.

[7] Vgl. NARA, M1946. URL: www.fold3.com/image/312508469 und folgende [Abruf: 13.12.2019] und . NARA, M1946. URL: www.fold3.com/image/312655716 und folgende [Abruf: 13.12.2019].

[8] Vgl. Rückseitenhinweis: in Schwarz, zweimal „K 1448“ (Inventarnummer Kremsmünster).

[9] Vgl. BADV-Archiv, 42 WGA 145/59.

[10] Für das Folgende vgl. Auktionshaus für Altertümer Glückselig Ges. m. b. H., Wien, 22.–24.11.1927, S. 12, Los 30, mit Abb.

[11] Für das Folgende vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 4152.

[12] Laut freundlicher Auskunft des ZIKG, München vom 12.2.2019. Das ZIKG beherbergt das Fotoarchiv der Kunsthandlung Julius Böhler. Es umfasst ca. 11.500 Aufnahmen professioneller Fotograf*innen und dokumentiert sowohl die von Böhler gehandelten Kunstwerke als auch exakte Maße, Techniken, Materialien, Preise, Provenienzen, Literatur sowie Expertisen bzw. Gutachten. Vgl. ZIKG, Projekte, Erwerbung des Fotoarchivs der Kunsthandlung Julius Böhler. URL: www.zikg.eu/projekte/projekte-zi/erwerbung-des-fotoarchivs-der-kunsthandlung-julius-boehler [Abruf: 13.12.2019].

[13] Vgl. BWA, K1, XVA, 10c, 264, Akt Fall 33.

[14] Vgl. NARA, RG 260, 519, Box 445.

[15] Vgl. BArch Koblenz, B 323/763, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 4152.

[16] Vgl. NARA, M1946. URL: www.fold3.com/image/312508469 und folgende [Abruf: 13.12.2019] und . NARA, M1946. URL: www.fold3.com/image/312655716 und folgende [Abruf: 13.12.2019].

[17] Vgl. Beetz, Die Erwerbungen Adolf Hitlers bis zum Führererlass vom 26. Juni 1939 für den Aufbau des Neuen Museums Linz, Berlin 2004, S. 14.

[18] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 4152.

[19] Vgl. Kathrin Iselt, „Sonderbeauftragter des Führers“. Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884–1969), Köln 2010, S. 217.

[20] Vgl. Hanns Christian Löhr, Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der „Sonderauftrag Linz“. Kunstbeschaffung im Nationalsozialismus, Berlin 2016, S. 54.

[21] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, zugehörige Property Card des CCP München.

[22] Überprüft wurden folgende Verlustdatenbanken und digitalisierte Archivunterlagen zum verfolgungsbedingten Entzug von Kulturgütern im Nationalsozialismus sowie historische Auktionskataloge: (1) LostArt Datenbank, Deutschland (www.lostart.de) (2) The Central Registry of Information on Looted Cultural Property 1933–1945, Object Database, Großbritannien (www.lootedart.com) (3) Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, Database of Art Objects at the Jeu de Paume (www.errproject.org) (4) Répértoire des biens spoliés, Frankreich (www.culture.gouv.fr/documentation/mnr/MnR-rbs.htm) (5) The Getty Research Institute, German Sales Catalogs, 1930–1945, USA (http://piprod.getty.edu/starweb/pi/servlet.starweb?path=pi/pi.web) (6) Universität Heidelberg, Auktionskataloge – digital, Deutschland (http://artsales.uni-hd.de) (7) Galerie Heinemann online, Deutschland (http://heinemann.gnm.de/de/recherche.html) (8) Lootedart, Polen (http://lootedart.gov.pl/en) (9) NARA, Holocaust-Era Assets, USA (www.fold3.com) [Abruf: 13.12.2019].

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