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Cleve, Joos van

Porträt einer Frau (Bildnis einer fürstlichen Mätresse)

Entstehungsjahr nach 1530
Technik Öl auf Holz
Maße 95,5 x 72 cm
Münchener-Nr. 7119
Linz-Nr. Keine
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Die Verwirrungen über den Maler Joos van Cleve, die teilweise bis in die jüngste Forschung hineinreichen, stammen von dessen frühen Biographen Carel van Mander.1 Dieser brachte Joos van Cleve mit dem geistig erkrankten Maler Joos van Cleve, gen. Sotte Cleef, in Zusammenhang. Max J. Friedländer stellte jedoch klar, basierend auf Ludwig Burchards Erkenntnissen, dass es sich bei dem geisteskranken Maler um Cornelis van Cleve, den 1520 geborenen Sohn von Joos van Cleve, handelte. Darüber hinaus ist im Register der Malergilde von Antwerpen im Jahre 1511 nur ein Maler namens Joos van Cleve verzeichnet. Joos van Cleve, dessen eigentlicher Name Joos van der Beke war, wurde um 1485 geboren. Es wird vermutet, dass der Name von Cleve auf den Geburtsort Kleve verweist und dadurch den eigentlichen Namen Beke verdrängt hat. Sein Todesjahr ist nicht bekannt. Sicher ist, dass er am 10. November 1540 sein Testament schrieb und dass seine Ehefrau am 13. April 1541 als Witwe bezeichnet wurde.

Die Lehrzeit verbrachte Joos van Cleve vermutlich von 1505 bis 1508 in Kalkar bei Jan Joest, wo er an den Flügeln des Hochaltars der dortigen St. Nikolaikirche mitarbeitete. Zur selben Zeit war dort auch Bartholomaeus Bruyn Lehrling. Nach einem kurzen Aufenthalt in Brügge siedelte Cleve 1511 nach Antwerpen über, wo er seit diesem Jahr in der dortigen Malergilde erwähnt wurde. Von der Forschung wird Joos van Cleve als der „Meister des Marientodes“ identifiziert.2 Gestützt wird diese These insbesondere auf Lodovico Guicciardinis 1567 gedruckten Beschreibung, der große Ähnlichkeiten zwischen den Darstellungen des Todes Mariae und den Porträts sieht, die Cleve am Pariser Hof gefertigt hatte. Dorthin hatte ihn der französische König Franz I. etwa 1530 berufen. Während der folgenden Jahre malte Cleve zahlreiche Bildnisse des Königs, seiner Gemahlin Eleonore und anderer Persönlichkeiten. 1535 kehrte der Künstler zurück nach Antwerpen, wo er bis zu seinem Tod in seiner Werkstatt tätig war.

Cleve malte den hier interessierenden Halbakt einer Dame mit freundlichem Gesicht, deren Züge voll Anmut und Lebhaftigkeit erscheinen, während seines Aufenthaltes am französischen Hof.3 Umhüllt wird ihr Rücken und rechter Arm mit einer Robe. Stil und Palette geben Anlass zu der Vermutung, dass das Bildnis um 1530 gefertigt wurde.4 Der bereits seit einem Jahrzehnt vom Künstler favorisierte neutrale dunkle Hintergrund, aus dem das Inkarnat der Porträtierten herausleuchtet, findet auch hier Anwendung: Die Haut der unbekannten Dame – vermutlich handelt es sich um eine Mätresse am Hofe – , die mit Ohrringen und einem Amulett geschmückt ist, scheint vor dem mächtigen dunklen Vorhang aus sich herauszuleuchten. Max Friedländer bringt das Porträt in die Nähe von Leonardo da Vincis „Mona Lisa“, die Joos van Cleve entweder in Paris im Original oder als eine der zahlreichen Kopien gesehen hatte und von denen er sich zu seinem Porträt einer französischen Dame anregen ließ.5

In der neueren Literatur wird das „Porträt einer Frau (Bildnis einer fürstlichen Mätresse)“ in Bundesbesitz jedoch nicht mehr als eigenhändige Arbeit von Joos van Cleve, sondern als Kopie bezeichnet.6 Der Autor des Werkverzeichnisses über den Künstler, John Oliver Hand, gibt zu diesem Gemälde (Katalognummer 89.1) folgendes an: „Copy of Joos, Panel, 95,9 x 72 cm, Mönchengladbach, Städtisches Museum Schloss Rheydt“.7 Angaben zur Provenienz fehlen, obwohl bereits im CCP München Hinweise zur Provenienz ermittelt worden waren.8 Ein weiteres „Porträt einer Frau“ (Katalognummer 89.2) und den erheblich abweichenden Maßen 89 x 69,6 cm wird ebenfalls als Kopie nach Cleve bezeichnet. J. O. Hand nennt zum Gemälde, welches auf Walnuss gemalt wurde, auch hier keine Provenienz. Als derzeitigen Standort gibt er die Národnì Galerie in Prag an. Das Porträt mit der Katalognummer 89 gilt J. O. Hand zufolge als Original des Künstlers. Der Autor nennt die Maße mit 95 x 72 cm und gibt als Bildträger Holz mit einem Fragezeichen an. Der Standort konnte von ihm nicht ermittelt werden. Das seiner Ansicht verschollene Porträt ist als einziges der drei erwähnten Bilder mit einer Schwarz-Weiß-Fotografie illustriert.9 Dies verwundert, denn J. O. Hand sind die Aufenthaltsorte der beiden anderen Gemälde bekannt.

Die Angaben bei John Oliver Hand beziehen sich zu einem großen Teil auf die Publikation von Max Friedländer, weswegen der Annahme, dass das Frauenporträt in Bundesbesitz eine Kopie von Joos van Cleve ist, nicht gefolgt werden kann. Bereits in der Veröffentlichung von Friedländer von 1931 wird dort als Aufenthaltsort des Gemäldes die Münchener Kunsthandlung Böhler angegeben.10 In der Neuauflage von 1972/1973 wird darüber hinaus erwähnt, dass das Werk 1941 auf dem Kunstmarkt in Luzern angeboten worden war.11 Wo sich das Bild zum Zeitpunkt der Drucklegung befand, war als unbekannt vermerkt worden. Angaben zum Bildträger sind in beiden Veröffentlichungen Friedländers nicht genannt. Während bei Friedländer nur die Rede von einem Originalgemälde war, erwähnt J. O. Hand in seinem Werkverzeichnis neben dem Original noch zwei Kopien nach Joos van Cleve. Die Provenienz des Werkes mit der Kat.Nr. 89, welches er als Original bezeichnet, gibt er mit Kunsthandlung Böhler an, eine Information, die er bei Friedländer 1931 entnommen hat. Der weiterführende Hinweis aus Friedländer 1972/1973 auf den Kunstmarkt in Luzern ist jedoch von entscheidender Bedeutung, denn auf der Property Card zum Porträt in Bundesbesitz, welches heute im Städtischen Museum in Mönchengladbach als Dauerleihgabe des Bundes gezeigt wird, ist die Notiz zur Galerie Fischer in Luzern auf einen Aufkleber vermerkt.12 Eine Rückseitenüberprüfung des Bildnisses ergab, dass sich dort tatsächlich ein Aufkleber mit der Aufschrift „Joos van Cleve, Frauenakt. Hofer, Fischer Luzern, 25. Febr. 1941“ befindet.13 Somit handelt es sich bei dem von J. O. Hand verschollen geglaubten Original (Kat.Nr. 89) um das Gemälde, welches sich in Mönchengladbach befindet (Kat.Nr. 89.1).

Provenienz

Zeittafel
Um 1931 Kunsthandlung Julius Böhler, München14
10.12.1940 Von der Kunsthandel AG Luzern an Galerie Fischer, Luzern, für sfrs. 27.500 verkauft15
25.2.1941 Von dort für sfrs. 60.000 an Hermann Göring verkauft16
(Göring-Report, S. 112; 457-08-68 Fischer Rev. Ber. 19.4.52, S. 14; Schr. Saxer 28.1.49 Anlage d.) 

Die Ermittlungen der TVK München erbrachten, dass die Tafel von Joos van Cleve zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Bestand der Münchener Kunsthandlung Julius Böhler war.17 Am 10. Dezember 1940 wurde sie von der Kunsthandel AG Luzern an die Galerie Fischer, ebenfalls in Luzern, veräußert. Von dort erwarb sie Hermann Göring am 25. Februar 1941 für sfrs. 60.000. Ein Aufkleber auf der Rückseite des Gemäldes nennt den Verkauf des Werkes über die Galerie Fischer. Diesen Angaben entsprechend handelt es sich um ein Originalgemälde von Joos van Cleve.

Dem Göring-Report ist zu entnehmen, dass Walter Andreas Hofer das Gemälde mit dem Titel „Venus“ von Jos [sic] van Cleve im Jahre 1940 von der Galerie Fischer für sfrs. 60.000 kaufte.18 Er trat dabei als Mittelsmann für Hermann Göring auf. Dass es sich hier trotz des differienden Titels um dasselbe Werk handelt, welches sich in Bundesbesitz befindet, kann durch ein Etikett der Galerie Fischer auf der Rückseite des Gemäldes belegt werden.19

Im Inventarverzeichnis der Sammlung Göring ist die Tafel als „Cleve, Joss, ’Half Length Semi-Nude Woman’ (Fischer Coll. Luzern, Switzerland, Feb. 5 – 1941“ vermerkt.20

Die Schweizerische Verrechnungsstelle fertigte im Jahr 1952 einen Revisionsbericht (vgl. Mü-Nr. 5877) über die Galerie Fischer in Luzern an.21 Unter der Nr. 11 wird dort ein „Nacktes Mädchen“ von van Cleve mit einem Exportwert von sfrs. 60.000 genannt.22 Da Fischer keine Unterlagen zu dem Verkauf besaß, wandte sich die Verrechnungsstelle an die Kunsthandel AG Luzern, die eine Abschrift der Rechnung an Fischer vom 10. Dezember 1940 zur Verfügung stellte. Aus dieser geht hervor, dass die Kunsthandel AG am besagten Tag sfrs. 27.500 für Joos van Cleves „Frauenportrait aus seiner Pariser Zeit“ von Fischer erhalten hatte. Der Käufer wurde im Revisionsbericht nicht genannt. Wie dem Göring-Report zu entnehmen ist, veräußerte die Kunsthandel AG das Bildnis wenige Wochen später mit erheblichem Gewinn durch Hofer an Göring.

Der Kauf des Bildnisses durch die Galerie Fischer von der Kunsthandel AG Luzern ist weiterhin durch eine Rechnung im Bayrischen Wirtschaftsarchiv überliefert.23 Die Informationen im Revisionsbericht beruhen auf der dort aufbewahrten Rechnung. Dieser sind ferner Hinweise auf Publikationen zu entnehmen. So wurde das Bildnis von Max Friedländer in seinem Werk über die altniederländische Malerei 1931 und in der Zeitschrift „Pantheon“ von 1932 erwähnt. In beiden Publikationen wird als damalige Provenienz der Münchener Kunsthändler Böhler angegeben.24 Das Wirtschaftsarchiv teilte mit, dass Böhler an der Kunsthandel AG Luzern beteiligt war.

Demnach befand sich das Gemälde bereits seit mindestens 1931 im Kunsthandel, bevor es 1941 von Fischer erworben und weiterverkauft wurde. Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes, die zu einem Zwangsverkauf des Gemäldes geführt haben könnten, sind nicht erkennbar.

Stand: 2002

1 Für das Folgende vgl. Friedländer 1931, S. 20-28.
2 Der Hilfsname „Meister des Marientodes“ entstand, als die Sammler Boisserée und Wallraf zwei Triptychen aus Kölner Kirchen erwarben, deren Mittelfelder den Tod der Jungfrau wiedergaben.
3 Für das Folgende vgl. Friedländer 1931, S. 54 f.
4 Ebd., S. 144, Kat.Nr. 114a. Die Maße werden von Friedländer mit 95 x 72 cm angegeben. Vgl. ebd. An anderer Stelle bei Friedländer wird die Entstehung des Porträts auf „etwa 1535“ datiert. Vgl. ebd., S. 55. J.O. Hand datiert das Gemälde auf „after 1530“. Vgl. Hand 2004, S. 170, Kat.Nr. 89.
5 Eine halbnackte Dame, die nach Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ gefertigt wurde, befindet sich in Chantilly, Musée Condé, die als Inspirationsquelle gedient haben könnte. Vgl. Friedländer 1931, S. 55. Die Abb. hierzu vgl. bei Friedländer 1972/1973, 1. Teil, Tf. 118, Kat.Nr. 114B. Joos van Cleve fand in Barthel Bruyn einen Nachahmer seines Frauenporträts. Vgl. Friedländer 1931, S. 55, Abb. Tf. LXIII und bei Friedländer 1972/1973, 1. Teil, S. 35, Abb. Tf. 118, Kat.Nr. 114A.
6 Für das Folgende vgl. Hand 2004, S. 103f. und S. 170, Kat.Nr. 89, Kat.Nr. 89.1 und Kat.Nr. 89.2.
7 Ebd., S. 170, Kat.Nr. 89.1.
8 BADV Berlin, Property Card, Mü-Nr. 7119. Vgl. die Ausführungen zur Herkunft des Bildnisses unter dem Punkt „Provenienz“.
9 Hand 2004, S. 104, Abb. 110. Als Bildnachweis gibt Hand die Sammlung des RKD in Den Haag an. Eine ebensolche S/W-Fotografie ist auch bei Friedländer 1931, Kat.Nr. 114a, und bei Friedländer 1972/1973, Kat.Nr. 114a, abgebildet. Zudem befindet sich eine solche S/W-Fotografie aus dem ehemaligen CCP im Fotoarchiv des BADV, Mü-Nr. 7119.
10 Friedländer 1931, S. 144, Kat.Nr. 114a. Des Weiteren ist dort folgendes zu erfahren: Maße 95 x 72 cm, entstanden um 1530.
11 Für das Folgende vgl. Friedländer 1972/1973, 1. Teil, S. 71, Kat.Nr. 114a.
12 BADV Berlin, Property Card, Mü-Nr. 7119.
13 Freundliche Auskunft des Städtischen Museums Mönchengladbach, Schloss Rheydt am 12.6.2007.
14 Anonym, Kunstliteratur, in: Pantheon, 9. Jg., Aprilheft, 1932, S. 138f. m. Abb. Dort wird das Werk von Joos van Cleve als „Bildnis einer fürstlichen Mätresse“ betitelt. Erwähnt auch bei Friedländer 1931, S. 144, Kat.Nr. 114a. Diese und die folgenden Angaben sind auch der Property Card zu entnehmen. Vgl. BADV Berlin, Property Card, Mü-Nr. 7119.
15 Die Summe ist dem Revisionsbericht der Schweizer Verrechnungsstelle vom 19.4.1952 entnommen. Vgl. BArch, B323/489.
16 BADV Berlin, Property Card, Mü-Nr. 7119.
17 Ebd.
18 Göring-Report, S. 112, Nr. 11.
19 BADV Berlin, Property Card, Mü-Nr. 7119.
20 Inventarverzeichnis der Sammlung Göring vom 4. August 1945. Vgl. Haase 2000, S. 281.
21 Revisionsbericht der Schweizer Verrechnungsstelle vom 19.4.1952. Vgl. BArch, B323/489.
22 Ebd., S. 13.
23 Rechnung der Kunsthandel AG Luzern an Fischer, Luzern, 3.7.1941, lfd. Rechnungsnummer 10152. Vgl. das Schreiben des Bayrischen Wirtschaftsarchivs München, an die OFD Berlin, am 1.7.2002.
24 Friedländer 1931, S. 55, Kat.Nr. 114a und Anonym, Kunstliteratur, in: Pantheon, 9. Jg., Aprilheft, 1932, S. 138f. m. Abb. In der englischsprachigen Neuauflage von Friedländers Buch über altniederländische Gemälde aus dem Jahre 1972/1973 ist als derzeitiger Standort unbekannt angegeben. Vgl. Friedländer 1972/1973, 1. Teil, Kat.Nr. 114a, Tf. 118.

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