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Thoma, Hans

Blick auf Mammolshain

Entstehungsjahr 1890
Technik Öl auf Pappe
Maße 74 x 91,5 cm
Münchener-Nr. 8736
Linz-Nr. 202
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Hans Thoma (1839–1924) erlernte das Lithographie-Handwerk und ging bei einem Stubenmaler in die Lehre.[1] 1859 wird er in die Karlsruher Kunstschule aufgenommen, wo er u. a. Landschaftsmalerei bei Johann Wilhelm Schirmer (1807–1863) studierte. Nach Aufenthalten in Düsseldorf und Paris kehrte er 1868 in seinen Heimatort Bernau im Schwarzwald zurück und widmete sich Figurenbildern und Landschaften. In den folgenden Jahren pflegte er Kontakt zum Leibl-Kreis. Ab 1876 wurde Frankfurt am Main für zwei Jahrzehnte sein Lebensmittelpunkt. Erst spät erlangte Thoma Anerkennung als er 1899 zum Galeriedirektor und Vorsteher eines Meisterateliers an der Kunstakademie in Karlsruhe berufen wurde. Beruflicher Höhepunkt war die Eröffnung des Hans-Thoma-Museums in der Karlsruher Kunsthalle 1909 zu seinem 70. Geburtstag. Als Thoma 1924 verstarb hinterließ er ein enorm umfangreiches Lebenswerk. Dieses zeigt wie fest er mit seiner Heimat verbunden war. Folgerichtig schuf er daher zahlreiche Schilderungen des heimatlich-bäuerlichen Lebens zu denen Bildnisse der Mutter, Schwester, Ehefrau, Selbstbildnisse sowie Schwarzwaldbauern und -bäuerinnen zählen.

Das Gemälde zeigt die Ansicht eines Dorfes von oben. Im Vordergrund ist am rechten Bildrand ein Apfelbaum dargestellt, dessen Geäst mit reifen Früchten nach links über den blauen Himmel ragt. Dahinter erstreckt sich am Fuße eines Berges ein Dorf mit Häusern sowie einem reichen Baumbestand. Laut Bildtitel handelt es sich um den Ort Mammolshain im Taunus. Als Werktitel sind „Blick auf Mammolshain“[2] sowie „Mammolshain“[3] (auch „Mamolshain“[4]) überliefert.

Das Werk ist rechts unten monogrammiert, jedoch nicht datiert. Eine Entstehung im Jahre 1890 wird angenommen.[5]

Ein Werkverzeichnis der Ölgemälde des Künstlers konnte nicht ermittelt werden.

Folgende Hinweise können der Rückseite entnommen werden: weißes, blau umrandetes Etikett mit perforiertem Rand „202“ (Linz-Nr.); Etikett der Firma „J. P. Schneider Jr.“, Rahmen Fabrik/Kunsthandlung, Rossmarkt 23, Frankfurt am Main.[6]

[1] Für das Folgende vgl. Ulrich Thieme/Felix Becker (Hgg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Leipzig 1999, Bd. 33/34, 47ff.

[2] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 8736.

[3] Vgl. Sammlungskatalog, Galerie. Martin und Florence Flersheim, 1910/1911, S. 39, Nr. 55, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[4] Vgl. Nationalgalerie Berlin (Hg.), Thoma-Ausstellung. Gemälde von Hans Thoma aus deutschem Privatbesitz ausgestellt 1922 in der National-Galerie. Betrachtungen und Verzeichnis, Berlin 1922, S. 137, Kat. 155.

[5] Vgl. ebd.

[6] Laut Auskunft des ehemaligen Leihnehmers vom 20.08.2001.

Provenienz

Zeittafel
1897–1935Martin Flersheim (1856–1935), Frankfurt am Main, wohl erworben über Kunsthandlung J. P. Schneider, Frankfurt am Main
Ab 1935Florence Flersheim (1864–1950), Frankfurt am Main, erworben durch Erbgang
(…) 
O. J.Exz. v. Kühlmann
Bis 1938Galerie Almas, München
Ab 1938Deutsches Reich („Sonderauftrag Linz“)
Ab Sommer 1943Eingang in das Bergwerk Alt-Aussee
11.10.1945Eingang in den Central Collecting Point München
1949–2010Bundesvermögen
2010Restitution

Das Gemälde war einst Teil der Sammlung von Martin Flersheim (1856–1935), Frankfurt am Main.[1] Er hatte es wohl im Jahre 1897 über den Rahmenfabrikanten und Kunsthändler J. P. Schneider in Frankfurt am Main direkt vom Künstler angekauft.[2] Im Jahre 1922 gab Flersheim das Werk als Leihgabe in die Ausstellung „Hans Thoma. Hundert Gemälde aus deutschem Privatbesitz“ in der Berliner Nationalgalerie.[3]

Das Ehepaar Flersheim besaß eine umfangreiche Kunstsammlung sowie Bibliothek, die nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahre 1935 in das alleinige Eigentum von Florence Flersheim (1864–1950), geborene Livingston, überging.[4] Da sie nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als Jüdin verfolgt wurde, verließ Florence Flersheim spätestens im Juni 1938 das Deutsche Reich und emigrierte über die Niederlande in die USA. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Auswanderung wurden Teile ihrer Kunstsammlung als national wertvolles Kulturgut deklariert und durften folglich nicht ausgeführt werden.[5] Die restlichen Kunstwerke gelangten als Umzugsgut nach Amsterdam, wo sie nach dem Einmarsch der deutschen Truppen auf Veranlassung des Reichsleiters Rosenberg im Juli 1944 beschlagnahmt wurden.[6] Wann und unter welchen Umständen das Gemälde „Blick auf Mammolshain“ die Sammlung Flersheim verließ, ist derzeit nicht bekannt.

Zu einem unbekannten Zeitpunkt gelangte das Werk in den Besitz der Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich (1892–1971), München.[7] Diese sagte am 9. März 1949 gegenüber den Alliierten aus, das Werk von „Exz. v. Kühlmann“ erworben zu haben. Diese Aussage konnte im Rahmen umfangreicher Recherchen nicht verifiziert werden. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um Richard von Kühlmann (1873–1948). Dieser war ein bedeutender Diplomat und im Dienste des Deutschen Kaisers tätig.[8] Als solcher unterzeichnete er 1918 den Friedensvertrag von Bresk-Litowsk mit Sowjetrussland. Noch im selben Jahr wurde Kühlmann von den deutschnationalen Abgeordneten zum Rücktritt von seinen Ämtern gezwungen. Er war anschließend in führenden Positionen in der deutschen Wirtschaft tätig. Während der Zeit des Nationalsozialismus veröffentlichte Kühlmann mehrere Bücher. Eine Verfolgung durch die Nationalsozialisten konnte nicht nachgewiesen werden.

Almas-Dietrich, geborene Dietrich, betrieb nach eigenen Angaben seit 1918 eine Kunsthandlung in München.[9] Im Jahre 1921 heiratete sie den türkischen Staatsbürger Ali Almàs-Diamant und trat zum Judentum über. Seit 1926 lebten sie jedoch in Trennung, 1937 erfolgte die Scheidung. Der Name „Almas“ blieb jedoch für die Galerie erhalten. Nach eigenen Angaben lernte Almas-Dietrich im Jahre 1936 Heinrich Hoffmann (1885–1957), den Fotografen Adolf Hitlers, kennen und erhielt über diesen erste Aufträge, Kunst für Hitler zu erwerben. Fortan entwickelte sie sich zu den aktivsten Vermittlern von Kunst an die Nationalsozialisten. Zwischen 1936 und 1944 verkaufte Almas-Dietrich über eintausend Kunstwerke an Hitler und zählt damit zu den Kunsthändlern mit der größten Anzahl an Hitler verkauften Kunstwerken. Am 15. Januar 1940 wurde sie aufgrund einer eidesstattlichen Erklärung, dass sie keine Jüdin sei, im Deutschen Reich eingebürgert. Nach der Zerstörung ihrer Galerie bei einem Luftangriff am 20. April 1944 wurde der Betrieb in die eigene Villa an der Gustav-Freytag-Str. 5 im Herzogpark verlagert. Die amerikanische Besatzungsbehörde vernahm Maria Almas-Dietrich nach 1945 mehrfach zu ihren Geschäften. Dabei wurden auch Unterlagen wie Geschäftsbücher beschlagnahmt und durch die Division MFA&A ausgewertet.[10]

Von der Kunsthändlerin Maria Almas wurde das Gemälde zu einem unbekannten Zeitpunkt für den „Sonderauftrag Linz“ erworben und erhielt die Linz-Nummer 202.[11] Die Höhe der Nummer weist auf einen Erwerb vor Juli 1938 hin.[12]

Um das Werk vor Kriegseinwirkungen zu schützen, erfolgte ab 1943 die Einlagerung in das Salzbergwerk Alt-Aussee in der Steiermark. Nach Sicherstellung durch US-Soldaten wurde es am 11. Oktober 1945 in den Central Collecting Point in München verbracht.[13] Am 1. Dezember 1948 übergab die amerikanische Militärregierung das Kunstwerk mit allen ebenfalls  bis dahin nicht bereits restituierten Kunstgegenständen in die Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten, Hans Ehard (1887–1980). Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Werk 1949 gemäß Artikel 134 Grundgesetz Bundesvermögen.

Am 16. Dezember 1957 meldeten die Erben nach Florence Flersheim Schadenersatzansprüche nach dem Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG) wegen der Entziehung der Kunstsammlung und anderer Wertgegenstände durch das Deutsche Reich an. Hinsichtlich der entzogenen Gegenstände bezog sich der Rechtsanwalt der Antragsteller auf die im vorausgegangenen Rückerstattungsverfahren vorgelegten Unterlagen. Dazu zählte der Katalog der Sammlung Flersheim aus den Jahren 1910/1911. Dem Antrag der Erben wurde in vollem Umfang stattgegeben. Für das fragliche Gemälde von Thoma ist auf diese Weise Schadenersatz geleistet worden.

Die Provenienz ist geklärt. Ein NS-verfolgungsbedingter Entzug an diesem Kulturgut und die Rechtsnachfolge des ursprünglichen Eigentümers wurden ermittelt. Die Restitution ist durch Unterzeichnung der Rückgabevereinbarung erfolgt. Im Gegenzug wurde die früher gezahlte Schadenersatzleistung anteilig zurückgezahlt.

Bearbeitungsstand: 2020

[1] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 8736.

[2] Vgl. Sammlungskatalog, Galerie. Martin und Florence Flersheim, 1910/1911, S. 39, Nr. 55, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes. Siehe auch Etikett der Kunsthandlung auf der Rückseite des Gemäldes.

[3] Vgl. Ausst.kat. Nationalgalerie Berlin 1922, S. 137, Kat. 155, Mamolshain, 1890, Besitzer: Martin Flersheim, Frankfurt.

[4] Für das Folgende vgl. Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Lost Art-Datenbank, Meldung/Suche, Martin und Florence Flersheim. URL: www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/MeldungVerlust.html?cms_param=menu%3Dinfo%26INST_ID%3D11537#id52146 [Abruf: 08.04.2020].

[5] Vgl. Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie, Archiv, Akte 731, Ergänzung zur Liste der national wertvollen Kunstwerke Hessens, [1938], hier unter dem Titel „Mammolshain“ und Schreiben Städtische Galerie Frankfurt a.M. an Polizeipräsidenten, Frankfurt a.M., 12.05.1938, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[6] Vgl. Eidesstattliche Versicherung von Frederick G. Flersheim, dem Sohn von Martin und Florence Flersheim, vom 28.06.1953, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[7] Für das Folgende vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 8736.

[8] Für das Folgende vgl. Ralf Berg, Richard von Kühlmann, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 13, Berlin 1982, S. 189f.

[9] Vgl. Bayerisches Wirtschaftsarchiv München, K1, XVA, 10c, 264, Akt Fall 33.

[10] Vgl. National Archives, Washington, DC, RG 260, 519, Box 445.

[11] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 8736.

[12] Vgl. Klaus Beetz, Die Erwerbungen Adolf Hitlers bis zum Führererlass vom 26. Juni 1939 für den Aufbau des Neuen Museums Linz, Berlin 2004, S. 14 (unpubliziert).

[13] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, zugehörige Property Card des CCP München.

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