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Tintoretto (Robusti, Jacopo) und Werkstatt

Paolo Tiepolo (Porträt eines Prokurators (Bildnis eines Unbekannten, im Hintergrund die Engelsburg))

Entstehungsjahr 1570er Jahre
Technik Öl auf Leinwand
Maße 107 x 94 cm
Münchener-Nr. 8849
Linz-Nr. 1751
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Das Porträt zeigt ein Kniestück des venezianischen Diplomaten Paolo Tiepolo. Dieser ist sitzend in Dreiviertelansicht, gekleidet in einer purpurnen, pelzgefütterten Robe, dargestellt. In würdevoller Haltung blickt Tiepolo auf den Betrachter herab. Der dunkle Hintergrund wird durch ein Fenster im linken Bildrand durchbrochen, wodurch der Blick des Betrachters auf die Engelsburg fällt, ein im Jahre 139 fertiggestelltes Mausoleum der Kaiser in Rom. Das Kunstwerk Tintorettos ist in Öl auf Leinwand gemalt, hat die Maße 107 x 94cm und ist signiert.

Tintoretto, der von 1518 bis 1594 in Venedig lebte, malte zahlreiche Bildnisse venezianischer Würdenträger. Mithilfe neuer Forschungen konnte die Identität und Herkunft des Dargestellten bestimmt werden.1 Dabei handelt es sich um ein Amtsporträt des Diplomaten und Prokurators2 Paolo Tiepolo (1523-1585). Die Geschichte der Familie Tiepolo, ursprünglich römischer Abstammung, lässt sich in Venedig bis in das frühe 8. Jahrhundert nachweisen. Sein Vater Stefano Tiepolo bekleidete in der Hochrenaissance wichtige Adelsämter und Mitgliedschaften. Mit der Datierung in die 1570er Jahre entstand das Porträt zu jener Zeit als Paolo Tiepolo als einer der angesehensten und einflussreichsten venezianischen Staatsmänner, Diplomaten und Redner galt.3 Im Jahr 1576 wurde er zum Procurator de Ultra4 ernannt.5 Die Engelsburg verweist einerseits auf die römische Herkunft der Familie und anderseits auf seine Tätigkeit als Botschafter in Rom.6 Auch in weiteren europäischen Städten führte Tiepolo diese Tätigkeit aus.7 Vermutet wird, dass das Porträt kurz nach seiner gescheiterten Wahl zum Dogen 1578 beauftragt wurde.8

Provenienz

Zeittafel
29.04.1885aus dem Nachlass des Edward Cheney, Esq., England im Auktionshaus Christies verkauft, Käufer: Händler F. Davis für Archibald Philip Primrose, 5th Earl of Rosebery
05.05.1939erneut im Auktionshaus Christies in England versteigert, Einlieferer: 6th Earl of Rosebery, Käufer: Herr Manenti
09.06.1941für 500.000,- Lire bei F. Ferrario, Mailand für das Deutsche Reich, "Sonderauftrag Linz" angekauft

Das Gemälde wurde als ein Werk des Künstlers Jacopo Tintoretto, eigl. Jacopo Robusti, am 9. Juni 1941 für das Deutsche Reich, Sonderauftrag Linz, im Mailänder Kunsthandel erworben. In der Kartei des Central Collecting Points unter der Betitlung „Bildnis eines Unbekannten, im Hintergrund die Engelsburg“ heißt es diesbezüglich genauer „von Zaffagni, Mailand […] über F. Ferrario, Mailand“.9 Das Werk gelangte in den „Führerbau“ in München und erhielt dort die Inventarnummer Linz-Nr. 1751. Es war in Band X des heute verlorenen Linz-Albums enthalten.

Laut den Ermittlungen der Kunsthistorikerin Birgit Schwarz10 waren im Band X der Linzer Alben das hier in Rede stehende Gemälde unter dem Titel „Bildnis des Prokurator Lorenzo Soranzo“ die Gemälde von Tintoretto „Beweinung Christi“ (Linz-Nr 1916, Mü-Nr. 4341), und ein „Bildnis des Feldherren Szipione Clusona mit einem Zwerg als Pagen“ (Linz-Nr. 1718) enthalten. Im heute noch vorhandenen Band XXI ist ein weiteres Tintoretto-Gemälde unter dem Titel „Der Senator Lorenzo Soranzo“ mit einer fotografischen Abbildung enthalten. In der so genannten „Führerbaukartei“ wird es als „Bildnis des Senator Lorenzo Soranzo mit Vollbart und rotem Talar vor einer Säule mit Inschrift“ geführt (Linz-Nr. 2063). Laut B. Schwarz stammte das zuletzt genannte Gemälde aus der Sammlung des Baron Edgardo Lazzaroni und wurde am 16.11.1954 an Italien restituiert.

Laut der in Ablichtung vorliegenden Liste des Sonderkontos bei der Deutschen Botschaft in Rom, über die der Zahlungsverkehr mit den italienischen Kunsthändlern und Sammlern abgewickelt wurde, bei denen in der Zeit vom 20.02.1941 bis 20.02.1942 für den Sonderauftrag Linz Kunstwerke angekauft wurden, sind fünf Gemälde von Tintoretto, davon zwei mit dem Titel „Lorenzo Soranzo“ erwähnt: Am 19.02.1941 wurde das Gemälde „Königin von Saba vor Salomo“ für 350.000,- Lire bei Simotti Rocchi (Linz-Nr. 1456); am 19.03.1941 „Bildnis des Claudio Clusona“ für 400.00 Lire bei Gnecco (Linz-Nr. 1718); das hier in Rede stehende „Bildnis eines Unbekannten, im Hintergrund die Engelsburg“ am 09.06.1941 unter der Bezeichnung „Lorenzo Soranzo“, für 500.000,- Lire bei F. Ferrario, Mailand (Linz-Nr. 1751) angekauft. Am 13.06.1941 wurde zusammen mit zwei weiteren wertvollen Gemälden „Die Grablegung“ von Tintoretto bei dem italienischen Kunsthändler Italico Brass und am 07.11.1941 zusammen mit zwei Bronzestatuetten ein weiteres „Bildnis von Lorenzo Soranzo“ (als junger Mann mit langem Vollbart) für zusammen 1.250.000,- Lire angekauft. Dabei handelt es sich um das inzwischen an Italien restituierte Gemälde.

Nachdem das hier zu betrachtende Porträt zwischen dem 1. August 1941 und dem 28. November 1943 in die bereits 1940 enteignete Benediktinerabtei Kremsmünster verbracht wurde, befand sich das Werk ab 1944 oder 1945 im Salzbergwerk von Altaussee. Das Gemälde erreichte den CCP am 11.Oktober 1945.11

Durch die Leihnehmersuche für das in Rede stehende Gemälde ergab sich eine Verbindung zum Wallraff-Richartz-Museum, als potentiellen Leihnehmer, und dem dort tätigen, ausgewiesenen Tintoretto-Experte Roland Krischel. In diesem Zusammenhang recherchierte Herr Krischel folgende, weitere Erkenntnisse zur Provenienz.
Verschiedene Hinweise sprechen dafür, dass das Gemälde zusammen mit den Porträts der Dogen Franceso Donà und Alvise Mocenigo in der Procuratia de Ultra zu sehen war. Hinweise auf Formatveränderungen durch den Maler selbst, anlässlich der Umbaumaßnahmen der Procuratien um 1590, stützen die These. Nicht auszuschließen ist jedoch eine Herkunft aus familiärem Umkreis. Der genaue Verbleib der Porträts während der Umstrukturierung der Innenausstattung Anfang des 19. Jahrhunderts ist ungeklärt.12 Mitte des 19. Jahrhunderts erwarb der Mäzen und Sammler Edward Cheney, Esq., England, das Porträt Tiepolos im Palazzo Capello für sein Esszimmer.13 Die Ermittlungen der früheren Treuhandverwaltung Kulturgut München, wonach sich das in Rede stehende Gemälde bis 1885 im Besitz von Edward Cheney befand, können durch neue Forschungen bestätigt werden. Das Werk wurde am 29.04.1885 aus dessen Nachlass im Auktionshaus Christie‘s unter dem Titel „A Venetian Senator, with the castle in the background. From the Casa Cappello in Canonica“14 an den Händler F. Davis für Archibald Philip Primrose, 5th Earl of Rosebery, verkauft. Sein Sohn, 6th Earl of Rosebery, ließ das betreffende Porträt unter der Bezeichnung „Portrait of a Senator(…)“ am 05.05.1939 bei Christie’s London versteigern. Neuer Eigentümer wurde ein Herr Manenti, der das Kunstwerk nach Italien verbrachte.15 Im Auktionskatalog ist es unter der lfd. Nummer 136 detailliert erfasst und ganzseitig abgebildet.16 Diese Angaben konnten durch Christie’s nochmals bestätigt werden. Ablichtungen aus den Auktionskatalogen liegen vor.

Gemäß der in Italien geltenden Rechtslage im Jahre 1937 hatten private Eigentümer von Kunstwerken, die vom Erziehungsministerium als bedeutend verzeichnet worden waren, ihre Veräußerungsabsicht anzuzeigen. An den bedeutenden Kunstwerken beanspruchte der Staat ein  Vorkaufsrecht. Deshalb war der Export eines Kunstwerkes verboten, sofern keine staatliche Genehmigung vorlag. Der Verkauf in das Ausland erforderte eine Lizenz vom Exportbüro und wurde mit Steuern belegt. Veräußerungen, die gegen diese Vorschriften verstießen, waren laut Gesetz nichtig. In den Verhandlungen der Nachkriegszeit zwischen Deutschland und Italien wurde die Rechtmäßigkeit aller Erwerbungen geprüft. Der 03.September 1943 wurde dann als Stichtag festgesetzt, nach dem die Alliierten jede Verbringung ins Ausland als Kulturgutverluste Italiens anerkannten.

Deutschland hatte deshalb alle nach diesem Stichtag erworbenen Kunstwerke an Italien zu restituieren. Die Kriterien für eine Rückführung lagen bei dem hier interessierenden Gemälde offenbar nicht vor. Ein NS-verfolgungsbedingter Verlust kann ausgeschlossen werden.

Stand: 2016

1 Folgende Anmerkungen beziehen sich auf:  Krischel, Roland: Porträt eines Diplomaten. Jacopo Tintorettos Bildnis des Paolo Tiepolo, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, Bd. LXXIII, 2012.
2 Ein Prokurator war einer der neun höchsten Staatsbeamten der Republik Venedig, aus deren Mitte der Doge gewählt wurde.
3 Krischel 2012, S.114f.
4 Siehe Anmerkung 2.
5 Krischel 2012, S.127.
6 Krischel 2012, S.118.
7 Krischel 2012, S.124.
8 Krischel 2012, S.131.
9 Bundesarchiv B323/168, LF XXXVII/Ita 123.
10 Birgit Schwarz, Hitlers Museum, Böhlau Verlag Wien, 2004.
11 Krischel 2012, S.140.
12 Krischel 2012, S.138f.
13 Auf Grundlage der Beschreibung Gustav Waagens, in: Waagen, Gustav: Galleries and Cabinets of Art in Great Britain (…), London 1857, S.175.
14 Catalogue of Works of Art from the Collection of Edward Cheney, Esq. (…) Auktionskatalog , Christie, London, 29.4.-1.5.1885, S.14, Nr.171.
15 Auf der Rückseite des Gemäldes befindet sich ein Zollstempel mit der Aufschrift „Dogana di Milano, 29.V.39“.
16 Die Angaben der TVK München decken sich mit denen der Forschungen Krischels: Porträt eines Diplomaten. Jacopo Tintorettos Bildnis des Paolo Tiepolo, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, Bd. LXXIII, 2012, S.139f.

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