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Thoma, Hans

Mutter und Kind

Entstehungsjahr 1880
Technik Öl auf Pappe, auf Pappe kaschiert
Maße 57,0 x 46,0 cm
Münchener-Nr. 10059
Linz-Nr. 382
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Hans Thoma (1839–1924) erlernte das Lithographie-Handwerk und ging bei einem Stubenmaler in die Lehre.[1] 1859 wird er in die Karlsruher Kunstschule aufgenommen, wo er u.a. Landschaftsmalerei bei Johann Wilhelm Schirmer (1807–1863) studierte. Nach Aufenthalten in Düsseldorf und Paris kehrte er 1868 in seinen Heimatort Bernau im Schwarzwald zurück und widmete sich Figurenbildern und Landschaften. In den folgenden Jahren pflegte er Kontakt zum Leibl-Kreis. Ab 1876 wurde Frankfurt am Main für zwei Jahrzehnte sein Lebensmittelpunkt. Erst spät erlangte Thoma Anerkennung als er 1899 zum Galeriedirektor und Vorsteher eines Meisterateliers an der Kunstakademie in Karlsruhe berufen wurde. Beruflicher Höhepunkt war die Eröffnung des Hans-Thoma-Museums in der Karlsruher Kunsthalle 1909 zu seinem 70. Geburtstag. Als Thoma 1924 verstarb hinterließ er ein umfangreiches Lebenswerk. Dieses zeigt wie fest er mit seiner Heimat verbunden war. Folgerichtig schuf er daher zahlreiche Schilderungen des heimatlich-bäuerlichen Lebens zu denen Bildnisse der Mutter, Schwester, Ehefrau, Selbstbildnisse sowie Schwarzwaldbauern und -bäuerinnen zählen.

Das Gemälde „Mutter und Kind“ entstand vermutlich im Jahre 1880.[2] Ausgeführt wurde es in Öl auf dünner Pappe, welche auf eine stärkere Pappe kaschiert wurde.[3] Dargestellt ist eine nach halblinks sitzende junge Mutter, die auf ihrem Schoß ein Kleinkind hält. Das Kind steht auf einem Bein, hält einen Löffel in seiner rechten Hand und schaut aus dem Bild direkt den Betrachter an. Im Hintergrund sind zwei junge Frauen in deren Mitte ein älterer Mann steht zu sehen. Dahinter befinden sich Bauernhäuser unter Bäumen vor der untergehenden Sonne und leicht gerötetem Himmel.

Der mit dem Maler Hans Thoma eng befreundete Kunsthistoriker Henry Thode (1857–1920) erarbeitete ein Werkverzeichnis in dem die Arbeiten des Künstlers bis zum Jahre 1909 fast vollständig enthalten sind.[4] Das hier interessierende Porträt ist nicht verzeichnet. Lediglich eine Wiederholung des Motivs, als „Bauersfrau mit Kind“ bezeichnet, ist dort abgebildet. Diese sehr ähnliche Arbeit bzgl. der jungen Frau und dem Kleinkind auf dem Schoß – lediglich der Hintergrund variiert – ist in Öl auf Leinwand mit den Maßen 60 x 52 cm ausgeführt und entstand im Jahr 1886. Zur damaligen Zeit befand es sich im Eigentum von Frau Charlotte Schumm-Walter, Bonn.[5] Ein drittes sehr ähnliches Porträt mit den Maßen 125 x 85 cm soll in der Zeitschrift „Kunst dem Volk“ abgebildet sein.[6] Eine vierte Variante ist mit „Mutterglück“ betitelt.[7] Es ist auf 1880 datiert und weist die Maße 55 x 45 cm auf.

Bei der jungen Frau handelt es sich um die Schwester des Künstlers Agathe (1848–1928), die zusammen mit ihrer gemeinsamen Mutter im Haushalt von Hans Thoma und dessen Ehefrau wohnte und ihm den Haushalt führte.[8]

Das Gemälde ist rechts unten signiert „H T H / 80“.

Folgende Hinweise können der Rückseite entnommen werden: weißes Etikett mit blauem Rand „382“ (Linz-Nr. 382); Stempel „39“ (nicht identifiziert); schwarzer Kugelschreiber „INV.NR. 1764; HT 3“ (nicht identifiziert). Die Mü-Nr. des CCP München fehlt.

[1] Für das Folgende vgl. Thieme/Becker 1999, Bd. 33/34, 47ff.

[2] Vgl. BVA-Archiv, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 10059.

[3] Technik und Material wurden in einem Restaurierungsgutachten vom 22.01.2019 ermittelt. Da der Bildträger stärker als ein Millimeter ist, wird im Gutachten Pappe und nicht Papier verwendet. In der Fachliteratur konnte nachgewiesen werden, dass Thoma mehrfach Werke in Öl auf Papier ausgeführt hat. Vgl. beispielsweise Michaela Gugeler, Andreas Strobl, Hans Thoma 1839–1924. Der verstörende Griff nach der Welt. Werke aus dem Nachlass, Frankfurt am Main 2008, Kat. Nr. 14.

[4] Vgl. Henry Thode, Thoma – Des Meisters Gemälde in 874 Abbildungen, Stuttgart und Leipzig 1909.

[5] Vgl. ebd., S. 247.

[6] Vgl. http://alien.mur.at/rax/KUN_POL/UND/KUNVOLK/thoma.html [Abruf: 09.11.2018]. Die Angaben des anonymen Autors sind teilweise falsch bzw. nicht belegbar. So befanden sich in der Sammlung des "Sonderauftrag Linz" 27 Gemälde und nicht 22. Vgl. die Einträge zu Hans Thoma in der Datenbank https://www.dhm.de/datenbank/linzdb/ [Abruf: 18.03.2019]. Die Argumentation des Autors, dass das große Gemälde nach 1909 entstanden sein muss, weil es nicht im Werkverzeichnis aufgenommen worden ist, kann widerlegt werden. Denn auch das Gemälde in Bundesbesitz von 1880 ist nicht im Werkverzeichnis aufgenommen worden.

[7] Vgl. Christa von Helmolt, Hans Thoma. Spiegelbilder, Stuttgart 1989.

[8] Vgl. Ausst.kat. Führer durch das Hans-Thoma-Museum, bearb. von Kurt Martin, Karlsruhe 1957, Anhang: Daten zu Hans Thomas Leben.

Provenienz

Zeittafel
(…) 
29.01.1932Herr Faulstich, Gunzenhausen, angeboten auf Auktion bei Hugo Helbing, München
(…) 
O. J.Privatbesitz oder Kunsthandel, München
O. J.Galerie Almas, München
Vermutlich vor Sommer 1938Reichsvermögen („Sonderauftrag Linz“)
Ab Sommer 1943Eingang in das Bergwerk Alt-Aussee
18.10.1945Eingang in den Central Collecting Point München
Seit 1949Bundesvermögen

Bisher nachgewiesen werden konnte das Porträt mit einer Abbildung am 29. Januar 1932 in einer Auktion der Münchener Kunsthandlung Hugo Helbing.[1] Es wurde dort aus unbekanntem Besitz angeboten. In einem annotierten Helbing-Katalog vom 29. Januar 1932 ist handschriftlich als Einlieferer „Hr. Faulstich Gunzenhausen 4500,-“ und als Gebot “3960“ angegeben. Recherchen zu einem Einlieferer Faulstich blieben bislang ohne Ergebnis.[2]

Hugo Helbing (1863–1938) eröffnete im November 1885 ein Antiquariat in der Münchener Residenzstraße mit dem Schwerpunkt auf Kupferstiche, Handzeichnungen und Aquarelle.[3] Versteigerungen fanden ab 1887 zunächst nur vereinzelt statt. Nach anhaltenden Raumproblemen bezog Helbing im Jahre 1900 ein Anwesen in der Liebigstraße 21. Die erste Auktion in den neuen Räumen im Jahre 1902 war gleichzeitig die 100. Jubiläumsauktion des Geschäfts. Trotz des Ersten Weltkrieges konnte Helbing dieses weiter ausbauen. Im Jahre 1916 eröffnete eine Zweigniederlassung in Berlin, wo er gemeinsam mit der Firma Cassirer zwischen 1916 und 1932 mehr als 30 Auktionen veranstaltete. Eine weitere Filiale der Kunsthandlung eröffnete im Jahre 1919 in Frankfurt am Main.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Hugo und Fritz Helbing, aufgrund ihrer jüdischen Herkunft, gemäß der neuen Gesetzgebung keine Versteigerungskonzession mehr erteilt.[4] Auch wurde ihnen die Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste verwehrt. Fritz Helbing trat am 31. Dezember 1935 aus dem Unternehmen aus. Sein Mitgesellschafter Theodor Neustätter (1863–1936) verstarb im April 1936, während Dr. Ernst Spiegel (1878–1953) als letzter Mitgesellschafter im Dezember desselben Jahres in die USA emigrierte. Der Versuch Hugo Helbings, die Geschäfte seinem langjährigem Prokuristen Adolf Alt zu übertragen, der im Sinne der nationalsozialistischen Rassentheorie als „arisch“ galt, scheiterte endgültig am 23. November 1938. Hugo Helbing selbst erhielt den Bescheid der Industrie- und Handelskammer (IHK) nicht mehr. Er wurde während der Novemberpogrome verhaftet, niedergeschlagen und verstarb am 14. November 1938 an seinen Verletzungen. Für die Galerie Helbing wurde zunächst ein Treuhänder eingesetzt. Die Arisierung des Unternehmens erfolgte später durch Jakob Scheidwimmer (1895–?), der die Galerie unter seinem Namen fortführte.

Im Folgenden wurde das Gemälde zu einem unbekannten Zeitpunkt von der Münchener Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich erworben. Am 12. März 1949 gab diese im CCP München an, dass das Werk aus Münchener Privatbesitz oder dem dortigen Kunsthandel stammte.[5]

Maria Almas-Dietrich (1892–1971), geborene Dietrich, betrieb nach eigenen Angaben seit 1918 eine Kunsthandlung in München.[6] Im Jahre 1921 heiratete sie den türkischen Staatsbürger Ali Almàs-Diamant und trat zum Judentum über. Seit 1926 lebten sie jedoch in Trennung, 1937 erfolgte die Scheidung. Der Name „Almas“ blieb jedoch für die Galerie erhalten.

Nach eigenen Angaben lernte Almas-Dietrich im Jahre 1936 Heinrich Hoffmann, den Fotografen Adolf Hitlers, kennen und erhielt über diesen erste Aufträge, Kunst für Hitler zu erwerben. Fortan entwickelte sie sich zu den aktivsten Vermittlern von Kunst an die Nationalsozialisten.

Zwischen 1936 und 1944 verkaufte Almas-Dietrich über eintausend Kunstwerke an Hitler und zählt damit zu den Kunsthändlern mit der größten Anzahl an Hitler verkauften Kunstwerken. Am 15. Januar 1940 wurde sie aufgrund einer eidesstattlichen Erklärung, dass sie keine Jüdin sei, im Deutschen Reich eingebürgert. Nach der Zerstörung ihrer Galerie bei einem Luftangriff am 20. April 1944 wurde der Betrieb in die eigene Villa an der Gustav-Freytag-Str. 5 im Herzogpark verlagert.

Die amerikanische Besatzungsbehörde vernahm Maria Almas-Dietrich nach 1945 mehrfach zu ihren Geschäften. Dabei wurden auch Unterlagen wie Geschäftsbücher beschlagnahmt und durch die Division MFA&A ausgewertet.[7]

Von der Galerie Almas wurde das Werk für den „Sonderauftrag Linz“ erworben und erhielt dort die Linz-Nr. 382.[8] Die niedrige Inventarnummer weist auf einen Erwerb vor Sommer 1938 hin.

Um das Werk vor Kriegseinwirkungen zu schützen, erfolgte ab 1943 die Einlagerung in das Salzbergwerk Alt-Aussee in der Steiermark. Nach Sicherstellung durch US-Soldaten wurde es am 18. Oktober 1945 in den Central Collecting Point in München verbracht.[9] Am 1. Dezember 1948 übergab die amerikanische Militärregierung das Kunstwerk mit allen ebenfalls bis dahin nicht bereits restituierten Kunstgegenständen in die Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten, Hans Ehard (1887–1980). Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Werk 1949 gemäß Artikel 134 Grundgesetz Bundesvermögen.

Vor dem hier geschilderten Hintergrund bleibt die Provenienz ungeklärt. Alle hier bekannten Quellen sind ausgeschöpft.[10]

 

Bearbeitungsstand: 2019

[1] Auk.kat. Ölgemälde, Aquarelle und Handzeichnungen des 19. und 20. Jahrhunderts aus ausländischem, mitteldeutschem und Münchener Besitz,  Hugo Helbing, München, 29.01.1932, Kat.Nr. 84, Abb. Tafel 1. URL: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/helbing1932_01_29a/0019/image [Abruf: 13.03.2019].

[2] Anfragen bzgl. des Einlieferers erfolgten an das Kunsthaus Zürich am 21.1.22018, wo der annotierte Auktionskatalog aufbewahrt wird. Des Weiteren an die Kunsthalle Karlsruhe am 17.09.2018 und 01.03.2019, wo ein Teil der Archivalien zu Thoma aufbewahrt wird, und an das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München am 17.09.2018 geschrieben. Weder zu Faulstich noch zu Gunzenhausen konnten weitere Hinweise mitgeteilt werden. Auch der Abgleich mit den unten genannten Verlustdatenbanken ergaben keine weiteren Erkenntnisse.

[3] Für das Folgende vgl. Meike Hopp, Kunsthandel im Nationalsozialismus. Adolf Weinmüller in München und Wien, Köln/Weimar/Wien 2012, S. 75–82.

[4] Für das Folgende vgl. ebd, S. 82–85.

[5] Vgl. BArch Koblenz, B323/331, Kunsthändler A–J, Identifications of Linz pictures from Almas Dietrich (etd) vom 12.03.1949.

[6] Vgl. BWA, K1, XVA, 10c, 264, Akt Fall 33.

[7] Vgl. NARA, RG 260, 519, Box 445.

[8] Vgl. BVA-Archiv, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 10059.

[9] Vgl. BVA-Archiv, zugehörige Property Card.

[10] Überprüft wurden folgende Verlustdatenbanken und digitalisierte Archivunterlagen zum verfolgungsbedingten Entzug von Kulturgütern im Nationalsozialismus sowie historische Auktionskataloge: (1) LostArt Datenbank, Deutschland (www.lostart.de) (2) The Central Registry of Information on Looted Cultural Property 1933–1945, Object Database, Großbritannien (www.lootedart.com) (3) Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, Database of Art Objects at the Jeu de Paume (www.errproject.org) (4) Répértoire des biens spoliés, Frankreich (www.culture.gouv.fr/documentation/mnr/MnR-rbs.htm) (5) The Getty Research Institute, German Sales Catalogs, 1930–1945, USA (http://piprod.getty.edu/starweb/pi/servlet.starweb?path=pi/pi.web) (6) Universität Heidelberg, Auktionskataloge – digital, Deutschland (http://artsales.uni-hd.de) (7) Galerie Heinemann online, Deutschland (http://heinemann.gnm.de/de/recherche.html) (8) Lootedart, Polen (http://lootedart.gov.pl/en) (9) NARA, Holocaust-Era Assets, USA (www.fold3.com) [Abruf: 17.09.2018].

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