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Grützner, Eduard von

Jäger mit Pfeife

Entstehungsjahr 1891
Technik Öl auf Leinwand
Maße 43,0 x 35,0 cm
Münchener-Nr. 10067
Linz-Nr. 518
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Eduard Grützner (1846–1925) war ein deutscher Genremaler.[1] Er wurde als siebtes und jüngstes Kind einer Bauernfamilie geboren. Der Ortspfarrer erkannte sein malerisches Talent und brachte ihn im Jahre 1864 zur künstlerischen Ausbildung nach München. 1867 fand Grützner in Carl von Pilotys (1826–1886) Atelier Aufnahme. Von der Historienmalerei wandte sich der Künstler bald der Genremalerei zu, schilderte das klösterliche Leben, ließ sich vom Theater inspirieren und bildete, wie in „Jäger mit Pfeife“, Szenen aus dem Jägerdasein ab.

Das Kniestück zeigt einen älteren Herrn im Dreiviertelprofil vor einem dunklen, unbestimmten Hintergrund. Die grüne Kleidung sowie ein Gewehr, das der Abgebildete über der linken Schulter trägt, geben ihn als Jäger zu erkennen. Sein rechter Arm ist angewinkelt, in der Hand eine Pfeife haltend.

Das Gemälde ist rechts unten signiert und datiert „F. Grützner 1891“.

Folgende Hinweise können der Rückseite entnommen werden: in blauer Fettkreide „10067“ (Mü-Nr.); auf Blau umrandetem Etikett mit perforierten Rändern, in Schwarz „518“ (Linz-Nr.); „10067 / Grützner“ (Mü-Nr.); zwei vergilbte Etikette; in Schwarz, zwei Mal „K 242“ (Kremsmünster); schwarzer Stempel „Von der Zentralstelle für Denkmalschutz zur Ausfuhr zugelassen.“ (Zentralstelle für Denkmalschutz, Wien).

[1] Für das Folgende vgl. Ulrich Thieme/Felix Becker (Hgg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 15, Leipzig 1999, S. 141.

Provenienz

Zeittafel
(…) 
O. J.Anna Wörishofer (1850–1931), New York
Bis Juli 1938Dr. Antoine Graf Seilern (1901–1978), Wien, erworben durch Erbgang
Juli 1938–05.12.1938Kunsthandlung Julius Böhler, München
1938Karl Haberstock (1878–1956), Berlin, erwirbt halben Anteil am Gemälde von Böhler
05.12.1938Reichsvermögen („Sonderauftrag Linz“)
Ab Sommer 1943Eingang in das Bergwerk Alt-Aussee
18.10.1945Eingang in den Central Collecting Point München
1949Bundesvermögen

Das Gemälde „Jäger mit Pfeife“ war einst Teil der Sammlung von Anna Wörishofer (1850–1931), New York.[1] In ihrer Kollektion befanden sich vornehmlich Werke des 19. Jahrhunderts, die sie nach ihrem Tode den drei Enkelsöhnen vererbte.[2]

Auf diese Weise gelangte das Gemälde von Grützner in das Eigentum von Antoine Graf Seilern (1901–1978), dem Enkel der Vorgenannten. Seilern wurde im Jahre 1901 in Großbritannien geboren und besaß die britische Staatsbürgerschaft.[3] Seine Mutter war Antoinette Wörishofer (1875–1901). Diese stammte aus einer deutsch-amerikanischen Zeitungsverlegerfamilie und war jüdischer Abstammung. Seilerns Vater, Carl Graf Seilern und Aspang (1866–1940), war Angehöriger des österreichischen Hochadels, dessen Familie über Generationen im diplomatischen Dienst der K.-u.-k.-Monarchie gestanden hatte.[4]

Antoinette Wörishofer verstarb bei der Geburt des Sohnes, sodass Antoine Graf Seilern bei seiner Großmutter Anna Wörishofer aufwuchs.[5] Von 1933 bis 1937 war er an der Philosophischen Fakultät der Universität in Wien immatrikuliert.[6] In den Unterlagen der Universität konnte kein Hinweis darauf gefunden werden, dass Seilern „jüdischer Mischling“ im Sinne der NS-Rassegesetze war. In den dort befindlichen Unterlagen ist seine Konfession als „römisch-katholisch“ vermerkt.[7] Im Juni 1939 wurde Seilern an der Wiener Universität zum Dr. phil. promoviert.[8] Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine beachtliche Kunstsammlung zusammengetragen. Sie wurde in einem siebenbändigen Sammlungskatalog publiziert,[9] den Seilern seiner Großmutter Anna Wörishofer widmete.[10]

Noch vor dem Ausbruch des Krieges verließ Seilern Österreich und ging zurück nach Großbritannien. Für eine Anzahl von Gemälden, Grafiken sowie Kunstgewerbe stellte er einen Antrag auf Ausfuhrbewilligung bei der Zentralstelle für Denkmalschutz in Wien, der am 10. Mai 1939 bewilligt wurde.[11] Zwei Predellenbilder, Apostel Petrus und Paulus darstellend, schenkte er zudem vor seiner Abreise dem Kunsthistorischen Museum Wien.[12] Seilern lebte bis zu seinem Tode im Jahre 1978 in London. Seine Kunstsammlung vermachte er den Treuhändern für die Galerie des Courtauld Institute of Art. Ferner hinterließ er zwei weitere Gemälde dem Kunsthistorischen Museum in Wien.[13]

Das Gemälde „Jäger mit Pfeife“ war nicht unter den Werken, die Seilern nach London ausführte. Der Sammler hatte es bereits im Juli 1938, neben weiteren Werken aus seiner Kollektion, an die Kunsthandlung Julius Böhler (1860–1934) in München verkauft.[14] Den halben Anteil an den Werken veräußerte dieser noch im selben Jahr an den Kunsthändler Karl Haberstock (1878–1956) in Berlin.[15] Über den Abschluss des Geschäfts heißt es in einem Schreiben von Böhler an Haberstock vom 21. Juli 1938: „Sehr geehrter Haberstock, wir haben soeben mit Graf Seilern endgültig abgeschlossen und sind also glücklich im Besitz der Sammlung. […] Ich habe Graf Seilern heute durch die Dresdner Bank den Kaufpreis von Rm. 70.000.- überweisen lassen und so wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Ihren Anteil von Rm. 35.000.- auf unser Konto bei der Dresdner Bank Filiale München einzahlen würden.“[16] In den Geschäftsbüchern Haberstocks ist für den 31. Januar 1939 eine Zahlung über RM 31.350,- an Julius Böhler für „1/2 Anteil f. 10 Bilder (Seilern)“ vermerkt.[17]

Von Böhler und Haberstock erwarb die Reichskanzlei das Gemälde am 5. Dezember 1938 für RM 8.500,- für den „Sonderauftrag Linz“, wo es die Linz-Nr. 518 erhielt.[18] 

Die Nummer K242 auf der Property Card sowie auf der Bildrückseite weist auf die Lagerung des Gemäldes im Depot Kremsmünster hin.[19] Das beschlagnahmte Stift Kremsmünster in Österreich war das erste Auslagerungsdepot des „Sonderauftrag Linz“. Ab Mai 1941 wurden hier Kunst- und Kulturgüter untergebracht, die für das „Führermuseum“ erworben wurden.[20] Aus Sorge vor Luftangriffen, wurde das Depot bereits 1943 aufgelöst und dort gelagerte Objekte zunächst in Depots in Hohenfurt sowie Thürntal umgelagert.[21]

Um das Werk vor Kriegseinwirkungen zu schützen, erfolgte ab 1943 die Einlagerung in das Salzbergwerk Alt-Aussee in der Steiermark. Nach Sicherstellung durch US-Soldaten wurde es am 18. Oktober 1945 in den Central Collecting Point in München verbracht.[22] Am 1. Dezember 1948 übergab die amerikanische Militärregierung das Kunstwerk mit allen ebenfalls bis dahin nicht bereits restituierten Kunstgegenständen in die Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten, Hans Ehard (1887–1980). Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Werk 1949 gemäß Artikel 134 Grundgesetz Bundesvermögen.

Fraglich ist, ob es sich bei dem Verkauf des Gemäldes durch Antoine Graf Seilern um einen NS-verfolgungsbedingten Vermögensverlust handelt. Ein im Bundesdenkmalamt Wien aufgefundenes Schreiben vom November 1938 liefert Hinweise auf die jüdische Abstammung Seilerns und eine damit verbundene Diskriminierung. Darin beklagt die Zentralstelle für Denkmalschutz in Wien gegenüber dem Reichsstatthalter in Österreich, dass ein namentlich nicht genannter Wiener Aristokrat, der bisher durch eine jährliche Spende von 1.000 Schilling die Herausgabe des Wiener Jahrbuchs für Kunstgeschichte 1932 bis 1937 unterstützt hatte, nun nicht mehr um Hilfe gebeten werden konnte, „weil jetzt heraus kam, dass er den Bestimmungen der Nürnberger Rassegesetze nicht voll entsprechen soll“.[23]

Im Stadt- und Landesarchiv Wien erscheint Antoine Graf Seilern, neben seinen Brüdern Carl Hugo (Charles) und Oswald Graf Seilern, in den Akten der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen sowie im Bestand der Akten über die Anmeldung von entzogenem Vermögen. Die Dokumente belegen jedoch ausschließlich den Entzug von Immobilien. Hinweise auf entzogene Gemälde sind nicht enthalten.[24]

Im Verhältnis zum Ausland kamen die Vorschriften über die äußere Restitution zur Anwendung, welche in erster Linie vorsahen, dass die dort entzogenen Vermögensgegenstände „von der Regierung des Landes angefordert werden, aus dem sie entfernt worden sind“.[25] Eine Anfrage beim Bundesamt für Äußere Restitution ergab, dass weder das in Rede stehende Gemälde noch andere von Graf Seilern verkaufte Kunstwerke von Seiten der Republik Österreich oder von ihm im Wege der Äußeren Restitution angemeldet worden sind.[26]

Verfahren nach Graf Seilern gemäß deutschem Rückerstattungsrecht wurden keine ermittelt. Offenbar sind die von Graf Seilern über die Kunsthändler Böhler und Haberstock für das Deutsche Reich erworbenen Gemälde von ihm nicht als verfolgungsbedingter Vermögensverlust angesehen und daher nicht im Wege der Restitution zurückgefordert worden

Antoine Graf Seilern gehörte zwar als „Mischling ersten Grades“ grundsätzlich zum Personenkreis der aus rassischen Gründen NS-Verfolgten. Jedoch war zum Zeitpunkt des Verkaufs der Gemälde im Juli 1938 laut den Unterlagen des Archivs der Wiener Universität offenbar nicht bekannt, dass seine Mutter nach den Bestimmungen der Nürnberger Rassegesetze als Jüdin galt. Graf Seilern galt auf Grund seiner britischen Staatsbürgerschaft als Ausländer. Zwar waren auch ausländische Juden verpflichtet, bis zum 31. August 1938 ihr inländisches Vermögen anzumelden. Vermögensanmeldungen der Grafen Seilern sind jedoch in Wien nicht auffindbar. Aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung und der britischen Staatsangehörigkeit werden sie vermutlich keine Vermögensanmeldung abgegeben haben. Sie konnten weder zur Zahlung der Reichsfluchtsteuer noch der Judenvermögensabgabe (ab November 1938 gesetzlich geregelt) herangezogen werden. Der Verkauf der Gemälde dürfte demnach nicht wegen einer erzwungenen Zahlung von diskriminierenden Sonderabgaben und damit einhergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten erfolgt sein.

Bei Würdigung der vorliegenden Fakten erscheint das Rechtsgeschäft des Verkaufs der Gemälde durch Antoine Graf Seilern im Juli 1938 nicht als ungerechtfertigte Entziehung im Sinne der Rückerstattungsgesetze.

Die Provenienz ist geklärt. Ein früherer NS-verfolgungsbedingter Entzug an diesem Kunstwerk kann ausgeschlossen werden.[27]

Stand: 2020

[1] Für das Folgende vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 10067.

[2] Vgl. Courtauld Institute Galleries London (Hg.), The Princes Gate Collection, London 1981, o. S., Einleitung.

[3] Für das Folgende vgl. Dictionary of Art Historians, URL: https://dictionaryofarthistorians.org/seilerundaspanga.htm [Abruf: 04.01.2018].

[4] Vgl. Courtauld Institute Galleries London 1981, o. S., Einleitung.

[5] Vgl. Schreiben des Courtauld Institute of Art, London an die OFD, Berlin vom 14.06.2002.

[6] Für das Folgende vgl. Schreiben des Archivs der Universität Wien an die OFD, Berlin vom 08.07.2002 als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[7] Vgl. Courtauld Institute Galleries London 1981, o. S., Einleitung. Die jüdische Abstammung seiner Mutter verschwieg Seilern nach Auskunft der Universität Wien wohlweislich. Jüdischen Studierenden wurde dort lediglich bis Ende 1938 „gnadenhalber“ die Möglichkeit zur Promotion gewährt. Sie erhielten eigene Promotionstermine für „Nichtarier“. Vgl. Schreiben des Archivs der Universität Wien an die OFD, Berlin vom 08.07.2002.

[8] Vgl. ebd.

[9] Vgl. Antoine Graf Seilern, Paintings and Drawings at 56 Princes Gate, London SW 7, 7 Bd., London 1955–1971.

[10] Vgl. Courtauld Institute Galleries London 1981, o. S., Einleitung.

[11] Vgl. Ansuchen um Ausfuhrbewilligung, Antoine Graf Seilern, Wien vom 10.05.1939 als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[12] Vgl. Empfangsbestätigung der Leitung des Kunsthistorischen Museums Wien vom 01.08.1939 als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[13] Vgl. Schreiben des Courtauld Institute of Art, London an die OFD, Berlin vom 14.06.2002.

[14] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 10067.

[15] Vgl. Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Haberstock-Archiv, HA XXIV, S. 64.

[16] Vgl. BWA, F43, Nr. 8.

[17] Vgl. Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Haberstock-Archiv, HA XXIV, S. 64.

[18] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 10067 und BArch Koblenz, B 323/76, Bl. 36.

[19] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 10067.

[20] Vgl. Kathrin Iselt, „Sonderbeauftragter des Führers“. Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884–1969), Köln 2010, S. 217.

[21] Vgl. Hanns Christian Löhr, Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der „Sonderauftrag Linz“. Kunstbeschaffung im Nationalsozialismus, Berlin 2016, S. 54.

[22] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, zugehörige Property Card des CCP München.

[23] Vgl. Auskunft des Bundesdenkmalamtes Wien, 2001.

[24] Vgl. Stadt- und Landesarchiv Wien, Bestand 2.3.5 Landesgericht für Zivilrechtssachen (1850–1967), Serie 2.3.5.A29 –RK–  Rückstellungskommission und 1.3.2.119 Magistratsabteilungen (ca. 1802–1965), Serie 1.3.2.119.A41 –VEAV– Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung.

[25] Vgl. Wengler, RzW 1949/50, 196, 199.

[26] Anfrage der OFD, Berlin an das Bundesamt für Äußere Restitution, Koblenz vom 18.12.2002.

[27] Überprüft wurden folgende Verlustdatenbanken und digitalisierte Archivunterlagen zum verfolgungsbedingten Entzug von Kulturgütern im Nationalsozialismus sowie historische Auktionskataloge: (1) LostArt Datenbank, Deutschland (www.lostart.de) (2) The Central Registry of Information on Looted Cultural Property 1933–1945, Object Database, Großbritannien (www.lootedart.com) (3) Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, Database of Art Objects at the Jeu de Paume (www.errproject.org) (4) Répértoire des biens spoliés, Frankreich (www.culture.gouv.fr/documentation/mnr/MnR-rbs.htm) (5) The Getty Research Institute, German Sales Catalogs, 1930–1945, USA (http://piprod.getty.edu/starweb/pi/servlet.starweb?path=pi/pi.web) (6) Universität Heidelberg, Auktionskataloge – digital, Deutschland (http://artsales.uni-hd.de) (7) Galerie Heinemann online, Deutschland (http://heinemann.gnm.de/de/recherche.html) (8) Lootedart, Polen (http://lootedart.gov.pl/en) (9) NARA, Holocaust-Era Assets, USA (www.fold3.com) [Abruf: 15.10.2018].

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