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Codde, Pieter (Werkstatt)

Das Verhör [Verhaftete Reisende vor einem Offizier]

Entstehungsjahr ohne Jahr
Technik Öl auf Holz
Maße 36,5 x 50,5 cm
Münchener-Nr. 1558/2
Linz-Nr. 2947
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Das Œuvre des aus Amsterdam stammenden Malers und Zeichners Pieter Codde (1599–1678) umfasst vorwiegend Genreszenen und Porträts.[1] In seinen zahlreichen „cortegaertjes“ widmete er sich der Darstellung von Gesellschaften oder sich vergnügenden Soldaten in Wach- und Wirtsstuben. Daneben schuf er Bildnisse wohlhabender Bürger. Codde kleidete die von ihm gemalten Personen in kostbare Stoffe, deren Falten er meisterlich komponierte.

Das Gemälde zeigt eine Gruppe von Personen in einem Raum. Am linken Bildrand sitzt ein Hauptmann vor dem ein Reisender kniet. Hinter dem Knieenden sind ein Junge mit einer Karte, eine weinende Frau und zwei Männer zu erkennen. Rechts an der geöffneten Tür steht von der Gruppe abgewandt ein Soldat. Im Eintreten begriffen ist ein Mann, der eine Kiste in den Händen hält. Draußen hinter ihm sind zwei weitere Personen sichtbar.

Der aktuelle Stand der kunsthistorischen Forschung verzeichnet ein Originalgemälde des niederländischen Malers Pieter Codde mit dem Titel „Soldaten plunderen een huis“, das sich heute im Frans Hals Museum (NK2785) in Haarlem befindet.[2] Weitere sechs Gemälde zeigen das gleiche Motiv. Sie weisen ähnliche Maße wie das Original auf, gelten jedoch als Werkstattarbeiten.

Als weiter Werktitel sind sowohl „Nach dem Überfall“[3], „Der Überfall“[4], „Verhaftete Reisende vor einem Offizier“[5], „Gefangennahme eines Offiziers“[6], als auch „Plünderung“[7] überliefert.

Das Werk ist weder signiert noch datiert.    

Ein Werkverzeichnis des Künstlers konnte nicht ermittelt werden.

Folgende Hinweise können der Rückseite entnommen werden: weißes, blau umrandetes Etikett mit perforiertem Rand „2947“ (Linz-Nr.); mehrfach in Schwarz „K1779“ (Kremsmünster); Schablonierung in Schwarz „Z/146“ (nicht identifiziert); in Rot Wachssiegel (nicht identifiziert); in weißer Kreide „X“, [unleserlich] (nicht identifiziert); mehrfach in Schwarz Aufschrift ehemaliger Leihnehmer (nach 1945).

[1] Vgl. Ulrich Thieme/Felix Becker (Hgg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 7, Leipzig 1999, S. 156 und Günter Meißner (Hg.), Saur. Allgemeines Künstlerlexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, Bd. 20. München/Leipzig 1998. S. 95-97.

[2] Vgl. Rüdiger Klessmann, Die holländischen Gemälde. Kritisches Verzeichnis mit 485 Abbildungen, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig 1983, S. 46.

[3] Vgl. Aukt.kat Katalog der ausgewählten und reichhaltigen Gemälde-Galerie aus dem Nachlasse der Frau Wwe Franzisca von Clavé-Bouhaben zu Köln (ehemals Zanoli’sche Sammlung) […], J. M. Heberle (H. Lempertz‘ Söhne), Köln, 04.-05.06.1894, Kat.Nr. 19.

[4] Vgl. BArch Koblenz, B 323/139, Rechnung Annemarie Merting an Gottfried Reimer, Sonderauftrag Linz, Berlin, 31.05.1943, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.  

[5] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 1558/2.

[6] Vgl. Schreiben Max Heyn an Wiedergutmachungsamt Berlin vom 18.05.1953, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.  

[7] Vgl. Rüdiger Klessmann (Bearb.), Die holländischen Gemälde. Kritisches Verzeichnis, Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, 1983, S. 46, Nr. 671.

Provenienz

Zeittafel
(…) 

Bis 04.–05.06.1894

 

Nachlass Franziska Clavé von Bouhaben (1826–1893), Köln, Verkauf nicht bekannt
(…) 
Bis 07.05.1918Johannes Stumpf (1862–1936), Berlin, aus der Sammlung des Geheimrats Ernst Hölscher (?–?), Mühlheim a. Rh.
Ab 07.05.1918(Louis) Ludwig Löwenthal (1863–1940), Berlin, erworben über Rudolph Lepke‘s Kunst-Auktions-Haus, Berlin
Vor 02.08.1939Übergabe durch Fritz Löwenthal (1902–1958), Berlin, an William Benningson (1869–Deportation 1942), Berlin
Nach 02.08.1939William Benningson (1869–Deportation 1942), Berlin, in Kommission an Wolfgang Gurlitt (1888–1965), Berlin
(…) 
Vermutlich bis Anfang Mai 1943Edwin Rosenberg (?–?), Berlin, erworben über Gebr. Boll, Berlin
Anfang Mai – 31.05.1943Annemarie Merting (?–?), Berlin
31.05.1943Reichsvermögen („Sonderauftrag Linz“)
Ab Sommer 1943Eingang in das Kloster Kremsmünster
Ab Sommer 1943Eingang in das Bergwerk Alt-Aussee
29.06.1945Eingang in den Central Collecting Point München
1949–2011Bundesvermögen
2011Restitution

Für Juni 1894 ist das Gemälde unter der Bezeichnung „Nach dem Überfall“ im Nachlass von Franzisca Clavé von Bouhaben (1826–1893), geborene Ciolina-Zanoli, Köln, belegt.[1] Ein Verkauf konnte nicht ermittelt werden.

Am 7. Mai 1918 erwarb der in Berlin lebende (Louis) Ludwig Löwenthal (1863–1940) das Gemälde bei Rudolph Lepke‘s Kunst-Auktions-Haus.[2] Bei der Auktion versteigert wurde die Kunstsammlung des Geheimrat Johannes Stumpf (1862–1936). Als Vorprovenienz für das Gemälde von Codde gibt der Katalog an: „Sammlung Clavé-Bouhaben in Köln“.

Löwenthal, der eine Sammlung alter niederländischer Meister besaß, stellte im Sommer 1925 einige seiner Gemälde dem Kaiser-Friedrich-Museums-Verein für die Ausstellung „Gemälde alter Meister aus Berliner Besitz“ zur Verfügung. Darunter auch ein Gemälde von Codde mit dem Titel „Interieur mit Gesellschaftsszene“, welches im Katalog unter der Nummer 73 aufgeführt ist und Löwenthal als Leihgeber ausweist.[3]

Ab dem 30. Januar 1933 zählte die Familie Löwenthal zum Personenkreis der aus rassischen Gründen Kollektivverfolgten. Die Ehefrau Betty (geb.1879), geborene Haagen, war 1936 verstorben. Dem Sohn Fritz (1902–1958) gelang Anfang August 1939 die Emigration nach London. Zuvor hatte er die Kunstsammlung des Vaters, darunter auch das Gemälde von Codde, seinem Schwiegervater, William Bennigson (1869–?), zur Aufbewahrung übergeben und ihm eine Generalvollmacht erteilt.[4] Bennigson, der selbst der Verfolgung durch das NS-Regime ausgesetzt war, gab die Gemälde zu einem unbekannten Zeitpunkt dem ihn persönlich bekannten Kunsthändler Wolfgang Gurlitt (1888–1965) auf Kommissionsbasis zum Verkauf.[5] Für sie erhielt Bennigson nur eine Anzahlung auf den Kaufpreis in Höhe von RM 20.000,-. Ludwig Löwenthal verstarb zu Beginn des Jahres 1940. Bennigson wurde gemeinsam mit seiner Frau Bertha (1876–?), geborene Greifenhagen, am 25. Januar 1942 nach Riga deportiert.[6]

Der Kunsthändler Wolfgang Gurlitt hatte in einem Schreiben vom 13. Oktober 1950 gegenüber Dr. Fritz Löwenthal behauptet, dass die ihm übergebenen Werke aus der Sammlung seines Vaters bei einem Luftangriff auf Berlin im November 1943 vollständig verbrannt seien.[7] Im Nachlass des 1954 verstorbenen Kunsthändlers befand sich allerdings mindestens ein Gemälde aus der ehemaligen Sammlung Löwenthals, das an ein österreichisches Museum gelangte und 1999 an die Erben nach Fritz Löwenthal zurückgegeben wurde.[8]

Das Deutsche Reich kaufte schließlich das Gemälde unter dem Titel „Der Überfall“ am 31. Mai 1943 für RM 12.000,- von der Berliner Kunsthändlerin Annemarie Merting (?–?) für den „Sonderauftrag Linz“ an.[9] Hier erhielt es die Linz-Nr. 2947.[10]

Annemarie Merting nannte als Verkäufer, von dem sie das Gemälde Anfang Mai 1943 erworben hatte, den Kunstschriftsteller Edwin Rosenberg (?–?).[11] Rosenberg wiederum teilte der Treuhandverwaltung von Kulturgut mit, er habe das Gemälde von den „Gebrüdern Boll in F. Herrmann Boll, Photografische Reproduktions- und Verlagsanstalt“ Berlin erworben.[12] Diese seien bei einem Luftangriff im Krieg umgekommen und könnten nicht mehr befragt werden. In einem Schreiben Mertings vom 14. Februar 1943 an den Referenten für den „Sonderauftrag Linz“ verwies sie hinsichtlich der Provenienz auf die frühere Sammlung Hölscher.[13] Die Sammlung des Geheimrates Ernst Hölscher (?–?) war in den späteren Familienbesitz seines Schwiegersohnes Johannes Stumpf übergegangen.

Die Nummer K1779 auf der Rückseite des Werkes weist auf dessen Lagerung im Depot Kremsmünster hin.[14] Das beschlagnahmte Stift Kremsmünster in Österreich war das erste Auslagerungsdepot des „Sonderauftrages Linz“. Ab Mai 1941 wurden hier Kunst- und Kulturgüter untergebracht, die für das „Führermuseum“ erworben wurden.[15] Aus Sorge vor Luftangriffen, wurde das Depot bereits 1943 aufgelöst und dort gelagerte Objekte zunächst in Depots in Hohenfurt sowie Thürntal umgelagert.[16]

Um das Werk vor Kriegseinwirkungen zu schützen, erfolgte ab 1943 die Einlagerung in das Salzbergwerk Alt-Aussee in der Steiermark. Nach Sicherstellung durch US-Soldaten wurde es am 29. Juni 1945 in den Central Collecting Point in München verbracht. Am 1. Dezember 1948 übergab die amerikanische Militärregierung das Kunstwerk mit allen ebenfalls bis dahin nicht bereits restituierten Kunstgegenständen in die Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten, Hans Ehard (1887-1980). Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Werk 1949 gemäß Artikel 134 Grundgesetz Bundesvermögen.

Die Provenienz ist geklärt. Ein früherer NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust wurde ermittelt. Die Restitution ist durch Unterzeichnung der Rückgabevereinbarung erfolgt.

Bearbeitungsstand: 2020

[1] Vgl. Aukt.kat Katalog der ausgewählten und reichhaltigen Gemälde-Galerie aus dem Nachlasse der Frau Wwe Franzisca von Clavé-Bouhaben zu Köln (ehemals Zanoli’sche Sammlung) […], J. M. Heberle (H. Lempertz‘ Söhne), Köln, 04.-05.06.1894, Kat.Nr. 19.

[2] Für das Folgende vgl. Aukt.kat. Galerie Alte Meister. Geheimrat Jah. Stumpf, Berlin, Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus, Berlin, 7.05.1918, Kat.Nr. 86, Abb. Tafel 48; Vgl. Schreiben Ernst Becker an RA Walter Schwarz (Abschrift), Berlin, 9.11.1953, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes. 

[3] Vgl. Ausst.kat. Gemälde Alter Meister aus Berliner Besitz, Kaiser-Friedrich-Museums-Verein, Berlin, 07.-08.1925, S. 19, Kat.Nr. 73. Dieses Gemälde wurde am 25.11.1931 bei der Auktion Sammlung Ludwig Loewenthal Berlin. Gemälde / Skulpturen / Porzellan / Kunstgewerbe, bei Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus, Berlin, unter der Losnummer 135  („Gesellschaft im Zimmer“)  zum Verkauf angeboten. 

[4] Vgl. Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) Berlin, Rückerstattungsakte 3323/51, Schreiben Max Heyn an Wiedergutmachungsamt von Berlin, Berlin, 18.05.1953. 

[5] Vgl. Landesarchiv Berlin, B Rep. 025-08, Nr 8 WGA 3323/51, Anlage zum Antrag auf Wiedererstattung von übertragbarem Vermögen gemäß § 7 der Anordnung BK/O (49)26.

[6] Vgl. Bundesarchiv (BArch), Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, URL: www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de [Aufruf: 08.04.2020].

[7] Vgl. BADV Berlin, Rückerstattungsakte 3323/51, Schreiben Wolfgang Gurlitt an Fritz Loewenthal, Bad Aussee, 13.10.1950.

[8] Hierbei handelte es sich die Rückgabe des Werkes „Die Näherin“, 1883, von Lesser Ury aus dem Lentos Kunstmuseum in Linz 1999.

[9] Vgl. BArch Koblenz, B 323/139, Rechnung Annemarie Merting an Gottfried Reimer, Sonderauftrag Linz, Berlin, 31.05.1943, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.  

[10] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 1558/2.

[11] Vgl. Schreiben Annemarie Merting an Treuhandverwaltung von Kulturgut München, Berlin, 13.01.1953 und 24.03.1953, beide als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[12] Für das Folgende vgl. Schreiben Edwin Rosenberg an Treuhandverwaltung von Kulturgut München, Berlin, 03.03.1953, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.  

[13] Vgl. BArch Koblenz, B 323, Nr. 139, Schreiben Annemarie Merting an Gottfried Reimer, Sonderauftrag Linz, Berlin, 14.02.1943, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.  

[14] Vgl. BArch Koblenz, B 323/609, Kontrollnummernkartei, Mü-Nr. 1558/2.

[15] Vgl. Kathrin Iselt, „Sonderbeauftragter des Führers“. Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884–1969), Köln 2010, S. 217.

[16] Vgl. Hanns Christian Löhr, Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der „Sonderauftrag Linz“. Kunstbeschaffung im Nationalsozialismus, Berlin 2016, S. 54.

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