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Dietrich (Dietricy), Christian Wilhelm Ernst

Südliche Landschaft mit römischen Ruinen

Entstehungsjahr 1761
Technik Öl auf Leinwand
Maße 68 cm x 85,5 cm
Münchener-Nr. 1655
Linz-Nr. 671
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Christian Wilhelm Ernst Dietrich,1 der seit 1732 mit Dietricy firmierte, wurde 1712 in Weimar als Sohn des Malers Johann Georg Dietrich geboren. Die erste künstlerische Ausbildung erhielt er bei seinem Vater; ab 1724 lernte er in Dresden bei Johann Alexander Thiele. Thiele, der 1747 Hofmaler wurde, verfügte schon zu jenem Zeitpunkt über gute Kontakte zum Dresdner Hof. So wurde August der Starke auf Dietrich aufmerksam, ernannte ihn 1731 zum Hofmaler und ließ den Grafen Brühl sich des jungen Talents annehmen. Eine Studienreise führte den jungen Dietrich 1734 in die Niederlande. 1741 wurde Dietrich als Hofmaler von August III. übernommen, der dem Künstler 1743 als Auszeichnung ein Reisestipendium für Italien zusprach. Bereits Ende 1743 war Dietrich, der das Stipendium zu Augusts Missfallen weniger zum Studium der italienischen Historienmalerei, als vielmehr zu Landschaftsstudien genutzt hatte, allerdings wieder in Dresden. 1748 erfolgte Dietrichs Ernennung zum Inspektor der Gemäldegalerie. Dietrich stand zu seiner Zeit in höchstem Ansehen, was sich nicht zuletzt in der Ernennung zum Ehrenmitglied der Akademien zu Augsburg, Bologna und Kopenhagen äußert. 1763 wurde er Professor für Landschaftsmalerei an der Dresdner Akademie und zugleich Leiter der Zeichenschule an der Porzellanmanufaktur Meißen. Dietrich verstarb 1774 in Dresden.
Dietrich gilt als Eklektiker, der sich von verschiedenen barocken Malschulen und Künstlern anregen ließ, so liegen seine Vorbilder für die religiösen Themen vor allem in der niederländischen Malerei, insbesondere Rembrandts Kunst hat großen Einfluss auf ihn gehabt. Für seine Landschaftsmalerei spielen die Italianisanten eine besondere Rolle. Einflussreich war Dietrich nicht zuletzt durch sein umfangreiches druckgraphisches Schaffen und die vielen nach seinen Werken gestochenen Blätter.

In einer idyllischen Hügellandschaft mit reichem Strauch- und Baumbewuchs erhebt sich im Bildmittelgrund auf von links nach rechts ansteigendem Gelände ein mächtige Ruine mit großer zentraler Bogendurchfahrt, vereinzelten Fenstern und mehreren einzeln überdachten Aufbauten, über der ein halb verfallener antiker Rundtempel emporragt. Um die Ruine herum verläuft ein Weg, auf dem eine kleine Kuhherde vom warmen Licht der spätnachmittäglichen Sonne beschienen rechts an der Ruine bergan vorbeizieht. Unmittelbar vor der Ruine reitet eine Frau auf einem Esel und von einem Begleiter gefolgt den Weg in entgegengesetzter Richtung bergab. Auf einem sonnigen Fleckchen hat sich ein Paar zur Linken neben dem Weg zum Picknick niedergelassen. Im schattigen Vordergrund auf der rechten Seite lagert ein Hirte mit seiner Ziegenherde – einige der Ziegen wenden sich aufmerksam dem Betrachter zu. Auf der linken Seite öffnet sich die Landschaft zu einem Fernblick über hügeliges Gelände an einer turmbewehrten Ruine vorbei bis in ein tief eingeschnittenes Flusstal vor bergiger Kulisse.
Dietrich setzt in meisterlicher Weise eine Fülle von Grün- und Brauntönen ein, um der Landschaft ihren fruchtbaren und zugleich trockenen Charakter zu verleihen und den Glanz der späten Sonne herauszuarbeiten. Dagegen setzt er die große strahlend helle Himmelsfläche mit ihren zarten Wolkengebilden. Die Tiefe des Landschaftsausblicks charakterisiert er mit den Mitteln der Farbperspektive.

Provenienz

Zeittafel
vor 1938 P. + D. Colnaghi & Co., London 
am 30.06.1938 von der Galerie Haberstock, Berlin erworben 
am 19.05.1939 von dort weiterverkauft an die Reichskanzlei, Berlin2   

In der Datenbank zur Sammlung des „Sonderauftrag Linz“ wird das Gemälde geführt als: „Südliche Landschaft mit Ruinen und Staffage“.3

Der Kunsthändler Karl Haberstock sagte am 07.03.1949 gegenüber dem alliierten Central Collecting Point in München aus, er habe das in Rede stehende Werk im englischen Kunsthandel erworben und am 19.05.1939 an die Reichskanzlei in Berlin verkauft.4

Die erneuten Recherchen ergaben Folgendes: Alle Querverweise bestätigen nach umfassender Recherche im Bundesarchiv die vorliegenden Angaben, fördern jedoch kaum neue Erkenntnisse zutage. Das Bild taucht in Haberstocks Inventurbuch auf, zunächst als Ankauf ohne Provenienzangabe vom 30. Juni 1938, dann als Übertrag in das Geschäftsjahr 1939.5 Nach Recherchen von Horst Keßler erwarb Haberstock das Gemälde zusammen mit zwei weiteren Gemälden von der Kunsthandlung P. + D. Colnaghi & Co in London im Juni 1938 für 11.344 (Pfund) und verkaufte es zusammen mit zwei weiteren Gemälden im Mai 1939 an die Reichskanzlei Berlin.6

Das Gemälde wurde in Band IX der Fotoalben für das von Hitler geplante „Führermuseum“ in Linz aufgenommen, das am 15. August 1941 versandt wurde.7

Die Kunsthandlung Colnaghi, eine der ältesten europäischen Kunsthandlungen, wurde 1760 in London von Anthony Torre gegründet. Paul Colnaghi und sein Sohn Dominic führten sie ab 1783 zu einer der bedeutendsten Kunsthandlungen in Europa. Die Kunsthandlung hatte vielfache Geschäftsbeziehungen auf dem europäischen Kunstmarkt. 1894 übernahm Otto Gutekunst die Geschäfte und ab 1911 baute er gemeinsam mit Gustavus Mayer die Geschäftsbeziehungen zum amerikanischen Markt aus, insbesondere durch die Beziehungen zur Knoedler Gallery in New York. Die Galerie trat in den 1930er Jahren als Vermittlerin für den Verkauf bedeutender Kunstwerke der Ermitage in St. Petersburg auf. Die Kunsthandlung befindet sich heute in der 15 Old Bond Street im Zentrum Londons. Colnaghi ist auf Gemälde Alter Meister und Zeichnungen vom 15. bis zum 19. Jahrhundert spezialisiert.

Die kunsthistorischen Recherchen ergaben Folgendes: Dietrichs Kunst ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, in denen einerseits sein Eklektizismus, andererseits seine große Bedeutung für die deutsche Kunst herausgearbeitet werden. Die Gesamtzahl der aus Dietrichs Werkstatt stammenden Gemälde wird auf über 2.000 geschätzt, die weder durch den Maler selbst dokumentiert, noch durch die kunsthistorische Forschung in einem Werkverzeichnis aufgearbeitet sind. Das vorliegende Gemälde lässt sich trotz seiner hohen Qualität und seiner ansprechenden Größe in der Literatur nicht nachweisen. Das Motiv stellt eine Variation auf das im 18. Jahrhundert so beliebte Bildthema des Sibyllentempels von Tivoli dar, den Dietrich auf seiner Italienreise aufgesucht und mehrfach zeichnerisch festgehalten hatte. In einem druckgraphischen Blatt und mindestens zwei Gemälden (Berlin, St. Petersburg) hat Dietrich den Tempel im Hochformat über einem Steinhang mit Wasserfall inszeniert. Eine weitere querformatige Version des Tivoli-Themas als Pendant zu einem Tivoli-Bild mit Wasserfall erwähnt Kreuchauf 1768 unter vielen anderen Werken Dietrichs in der Leipziger Sammlung Gottfried Winkler.8

Vor dem hier geschilderten Hintergrund bleibt die Provenienz bis 1938 ungeklärt. Ein NS-verfolgungsbedingter Entzug kann nicht ausgeschlossen werden.

Stand: 2011

1 Für Folgendes vgl. Heinecken 4, 1790, S. 673-712; Brulliot 1, 1832, S. 1168, 1550; 2, 1833, S. 542, 551, 660, 668; Le Blanc 2, 1856, S. 127-131; Müller, KL 1, 1857, S. 467f.; Nagler, Monogr. 1, 1858, S. 1008 Nr. 2425; 2, 1860, S. 327 Nr. 846, 327-329 Nr. 850, 337-339 Nr. 875, 443f. Nr. 1157, 533 Nr. 1398, 554 Nr. 1471; ADB 5, 1877, S. 192f.; Seubert 1, 1878, S. 380f.; Thieme/Becker 9, 1913, S. 259-262; Müller/Singer 1, 1921, S. 344; Nagler, KL 3, 1924, S. 544-549; NDB 3, 1957, S. 696; DBE 2, 1995, S. 535; DA 8, 1996, S. 880; Bénézit 4, 1999, S. 576f.; AKL 27, 2000, S. 297f.
2 Für das Folgende vgl. BADV Berlin, Property Card, Mü-Nr. 1655. Weitere auf der Karteikarte vermerkte Nummern lauten Aussee 1454 und K 691.
3 www.dhm.de/datenbank/linzdb/  
4 Vgl. die Property Card aus dem Münchner CCP, Mü.-Nr. 1655, unter: www.dhm.de/datenbank/ccp.
5 BArch Koblenz B 323/46/72; B 323/76/32, 46 (Inventurbuch Haberstock 1938, S. 30; 1939, S. 43); B 323/79/172; B 323/331/262 (undat. Aussage Haberstock), 272 (id. vom 7. 3. 1949).
6 Keßler 2008, S. 270 u. 284: Juni 1938 gekauft von P. + D. Colnaghi & Co., London, C. W. Dietrici „Kleine Landschaft“, Preis [für 3 Bilder] 11.344,00, Foto-Nr. 5191 [diese von Keßler genannte Foto-Nr. gehört jedoch zu einem anderen Gemälde Dietrichs, die korrekte Foto-Nr. lautet 1908], Mai 1939 verkauft an Reichskanzlei, Berlin, Dietrici „Romant. Landschaft“, Preis [für 3 Bilder] 7.002,00, Foto-Nr. 1908, HA/XXIV/73.
7 Schwarz 2000, S. 54 f., 305 Nr. IX/8.
8 Schniewind-Michel 1989, S. 2342 Abb. 2: Zeichnung im Dresdner Kupferstich-Kabinett „Der Sibyllentempel in Tivoli“, bezeichnet „Dietricy 1743 Rome“; neuerdings zum Sibyllentempel als Bildmotiv bei Dietrich vgl. Faye Rupp; Kittel 2010. In diesen Untersuchungen taucht das vorliegende Gemälde ebenso wenig auf wie in der Zusammenstellung von Gemälden Dietrichs bei Parthey 1, 1863, S. 327-339, oder bei Michel 1984.

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