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Leibl, Wilhelm Maria Hubertus

Bauernmädchen ohne Hut mit weißem Halstuch

Entstehungsjahr 1897
Technik Öl auf Mahagoniholz
Maße 37,5 x 29,5 cm
Münchener-Nr. 11219
Linz-Nr. 547
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Wilhelm Maria Hubertus Leibl (1844‒1900) war ein Maler und bedeutender Vertreter des deutschen Realismus.[1] Über ein Studium bei Arthur Georg von Ramberg (1819‒1875) und Carl Theodor von Piloty (1826‒1886) in den Jahren 1866 bis 1869 in München gelangte er zur völligen Beherrschung der koloristischen Mittel. In diesen ersten Jahren seines Schaffens fertigte Leibl vorwiegend Bildnisse an, die Männer darstellen und von Geistigkeit und Verklärtheit durchdrungen sind. Nach einem Parisaufenthalt, der durch den Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges ein vorzeitiges Ende fand, kehrte der Künstler nach München zurück und malte mit gereiftem Stil vorwiegend Bildnisse. In der Folgezeit näherte sich seine Maltechnik der klassischen niederländischen Malerei. Auch in den letzten Jahren seines Schaffens überwog in seinen Bildnissen und Interieurs das Malerische. In den Porträts dieser Zeit ist die leichte Modellierung der Malschicht von einem unendlichen Reichtum des Empfindens getragen.  

Das Gemälde zeigt eine junge Frau mit zusammengebundenem Haar. Über ihrer Jacke trägt sie ein weißes Halstuch. Sie schaut den Betrachter mit einem in sich gekehrten Blick an. 

Das Werk ist oben rechts signiert und datiert „W. Leibl 97“.

Das Kunstwerk ist im Werkverzeichnis von Waldmann (1930) enthalten.[2]

Folgende Hinweise können der Rückseite entnommen werden: Etikett „11219 (547)“ (Mü-Nr., Linz-Nr.); Etikett „W 3987/1“ (nicht identifiziert); Etikett „547/464“ (nicht identifiziert); in blauer Kreide „14“ (nicht identifiziert); in Blau [unleserlich]; „ou[?]“ (nicht identifiziert); „27[?]“ (nicht identifiziert); Fragmente von Etiketten; Etikett ehemaliger Leihnehmer (nach 1945).[3]

[1] Für das Folgende vgl. Ulrich Thieme/Felix Becker (Hgg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Leipzig 1999, Bd. 22, S. 587ff.

[2] Vgl. Emil Waldmann, Wilhelm Leibl. Eine Darstellung seiner Kunst. Gesamtverzeichnis seiner Gemälde, Berlin 1930, S. 146, Nr. 242, Abb.

[3] Laut Auskunft des ehemaligen Leihnehmers vom 11.07.2006.

Provenienz

Zeittafel
1897–29.11.1898Deutscher Kunstverein, Berlin 
Ab 29.11.1898Oscar Rothschild (?–?), Berlin
(…) 
Spätestens 1930-mindestens Mai 1938Dr. Alexander Lewin (1879–1942), Guben
(…) 
Spätestens Februar 1939Reichsvermögen („Sonderauftrag Linz“)
Ab Sommer 1943Eingang in das Bergwerk Alt-Aussee
22.10.1945Eingang in den Central Collecting Point München
1949–2009Bundesvermögen
2009Restitution

Das Gemälde wurde 1897, im Jahr seines Entstehens, durch den Deutschen Kunstverein in Berlin erworben und anschließend verlost.[1] Der Geschäftsbericht des Vereins weist Oscar Rothschild (?–?), Berlin, als Gewinner bei der Verlosung am 29. November 1898 aus.[2] Für spätestens 1930 ist das Werk im Besitz des Juristen Dr. Alexander Lewin (1879–1942) belegt.[3] Er besaß eine Sammlung mit über 80 Kunstwerken, darunter Impressionisten und Postimpressionisten sowie holländische Gemälde. Lewin war seit 1920 Generaldirektor der 1888 gegründeten Berlin-Gubener Hutfabrik in Guben.[4] Zudem war er seit Anfang 1938 Honorarkonsul Portugals.[5] Lewin bekannte sich zum katholischen Glauben, wurde jedoch im Januar 1938 aufgefordert, seine Abstammung nachzuweisen.[6] Nach den nationalsozialistischen Rassengesetzen galt Lewin als „Mischling ersten Grades“ und gehörte damit zum Kreis der Kollektivverfolgten. Bei Bekanntwerden dieser Tatsache im März 1938 befand sich Lewin vorgeblich zur Erholung in der Schweiz. Das Gemälde wurde im Mai 1938 im Auftrag Lewins über die Berliner Kommissionärin Elisabeth Litthauer (?–?) der Münchener Galerie Heinemann zum Kauf angeboten.[7] Ein Verkauf kam nicht zustande. Aus einem vertraulichen Aktenvermerk der Devisenstelle vom 24. September 1938 geht hervor, dass sich Lewin zu diesem Zeitpunkt im Ausland befand.[8] Ihm war die Emigration in die Schweiz gelungen. Ende des Jahres 1938 schied Lewin aus dem Vorstand der Berlin-Gubener Hutfabrik aus.[9] Per Sicherungsanordnung wurde der Rechtsanwalt Dr. Ludwig Kastl (?–?) am 10. März 1939 als Treuhänder über das Vermögen Lewins eingesetzt.[10] Mit Schreiben vom 3. April 1941 gab die Geheime Staatspolizei die förmliche Beschlagnahmung des inländischen Vermögens des Alexander Lewin bekannt.[11]

Das Gemälde gelangte in den Bestand des „Sonderauftrag Linz“ und erhielt dort die Linz-Nr. 547.[12] Entsprechend der Höhe der Linz-Nummer wurde es hier vermutlich vor Ende Februar 1939 inventarisiert.[13] Die genauen Umstände der Erwerbung durch das Deutsche Reich konnten nicht ermittelt werden.[14]

Um das Werk vor Kriegseinwirkungen zu schützen, erfolgte ab 1943 die Einlagerung in das Salzbergwerk Alt-Aussee in der Steiermark. Nach Sicherstellung durch US-Soldaten wurde es am 22. Oktober 1945 in den Central Collecting Point in München verbracht. Am 1. Dezember 1948 übergab die amerikanische Militärregierung das Kunstwerk mit allen ebenfalls bis dahin nicht bereits restituierten Kunstgegenständen in die Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten, Hans Ehard (1887–1980). Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Werk 1949 gemäß Artikel 134 Grundgesetz Bundesvermögen.

Weil Lewin schon im Jahre 1934 bedeutende Teile seiner Sammlung in die Schweiz verlagerte und gemäß den alliierten Rückerstattungsgesetzen der Verkauf eines Kunstwerkes im sicheren Ausland durch eine dort befindliche Person nicht als unrechtmäßige Entziehung galt, gelangte der Fall vor die Beratende Kommission für die Rückgabe NS‐verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz.

Auf Empfehlung der Beratenden Kommission bei der Koordinierungsstelle des Bundes, der Länder und der Kommunalen Spitzenverbände wurde das Gemälde aus der früheren Sammlung von Alexander Lewin 2009 an die legitimierten Rechtsnachfolger zurückgegeben.[15]

Bearbeitungsstand: 2020

[1] Vgl. Waldmann 1930, S. 146, Nr. 242, Abb.

[2] Vgl. Jahresbericht des Deutschen Kunstvereins 1898, Berlin 1899, S. 30.

[3] Vgl. Waldmann 1930, S. 146, Nr. 242, Abb.

[4] Vgl. Andreas Peter, Nachbarn von einst. Bilder und Dokumente jüdischen Lebens in Guben, Fabrik e.V., Guben 1999, S. 47

[5] Vgl. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg, F 1151, Bericht der Devisenprüfer Schatz und Lehmann über die vom 2.–4. Januar 1939 in Sachen Dr. Alexander Lewin, Guben, Blumenstr. 3, z.Zt. im Ausland getroffenen Feststellungen, Guben, 04.01.1939.

[6] Vgl. Bundesarchiv Koblenz, Schreiben des Gauwirtschaftsberaters, NSDAP-Gauleitung Kurmark, an Berlin-Gubener Hutfabrik, Berlin, 15.01.1938, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[7] Vgl.  Galerie Heinemann online, Recherche, URL: http://heinemann.gnm.de/de/kunstwerk-41897.htm [Abruf: 15.05.2020]. Das Werk hat keine Heinemann Nr.

[8] Vgl. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg, F 1151, Aktenvermerk, Berlin, 24.09.1938.

[9] Vgl. Auszug aus der Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung der Berlin-Gubener Hutfabrik A.-G., Guben, zu Berlin am 2. Dezember 1938, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[10] Vgl. Sicherungsanordnung auf Grund § 59 des Dev.-Ges. vom 12.12.1938, o.O., 10.03.1939, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[11] Vgl. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg, F 1151, Geheime Staatspolizei an Ludwig Kastl, Frankfurt/Oder, 03.04.1941.

[12] Für Folgendes vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 11219. 

[13] Vgl. Klaus Beetz, Die Erwerbungen Adolf Hitlers bis zum Führererlass vom 26. Juni 1939 für den Aufbau des Neuen Museums Linz, Berlin 2004 (unpubliziert), S. 14.

[14] Auf der entsprechenden Property Card des CCP München ist vermerkt: „Vor dem Kriege erworben“.

[15] Zur Begründung der Empfehlung der Beratenden Kommission siehe: https://www.beratende-kommission.de/Content/06_Kommission/DE/Empfehlungen/09-01-27-Empfehlung-der-Beratenden-Kommission-im-Fall-Lewin-Deutschland.pdf;jsessionid=17783988C5379D4D83ABDD2033B316CA.m7?__blob=publicationFile&v=8

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