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Albani (Werkstatt), Francesco

Adonis wird durch Amoretten zum Lager der Venus geführt

Entstehungsjahr ohne Jahr
Technik Öl auf Leinwand
Maße 131 x 162,5 cm
Münchener-Nr. 15831/12
Linz-Nr. Keine
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Francesco Albani (1578 – 1660) gilt als einer der Hauptschüler der Brüder Carracci in Bologna.1 In der Werkstatt stand er in ständiger Konkurrenz mit Guido Reni. Um 1600 folgte Albani Annibale Carracci nach Rom, der dort schon seit einigen Jahren tätig war. Die römischen Jahre werden die produktivsten Jahre für Albani, in denen er Kirchen und Paläste ausmalt. Zahlreicher als die großen Altarbilder sind jedoch die kleinen religiösen und mythologischen Bilder in seinem Oeuvre. Albanis Ruf für das letztgenannte Genre ist in den mythologischen Liebesdarstellungen in vier Rundbildern der Gallerie Borghese in Rom zu suchen. Das Gemälde „Venus und Adonis“ in Bundesbesitz ist daraus hervorgegangen. Weitere Venus und Adonis-Darstellungen befinden sich in der Alten Pinakothek in München und im Louvre.2

Das hier in Rede stehende Gemälde zeigt im Vordergrund die schlafende Göttin Venus, die unter einem roten Zelt von drei Amoretten bewacht wird. Von links wird der schöne Adonis, in den sich die Göttin verliebt hat, von Amoretten zu ihrem Lager begleitet. Hinter dem Zelt ragt ein mächtiger Baum auf, in dessen Geäst drei kletternde Amoretten Früchte pflücken. Die Darstellung der durch einen Pfeil Amors verwundeten Venus stellt eine Variante von Albanis Tondo-Komposition „Venus und Adonis“ von 1618/22 in der Gallerie Borghese in Rom dar.

Provenienz

Zeittafel
Früher Sammlung Fürst Cartoryski, Krakau 
Nachgewiesen 1931 Arthur Maier, Karlsbad  
Ab Oktober 1935 Eigentum seiner Alleinerbin Marianne Matella, geb. Möller-Maier (tschechisch Marianna Matellová, geb. Möllerová-Meierová) 
30.11.1939 Auktion Lempertz, Köln (Schätzpreis 6.000 RM, verkauft für 7.100 RM) 
Weihnachten 1939 Geschenk von Frau Käte Wolff, Köln, an Hermann Göring, Carinhall 

Die TVK München hatte ermittelt,3 dass das Gemälde, welches damals als eigenhändiges Werk von Francesco Albani galt, zu einem unbekannten früheren Zeitpunkt Teil der Sammlung des Fürsten Cartoryski in Krakau war. Nachgewiesen wurde das Kunstwerk im Jahre 1931 in der Sammlung von Arthur Maier in Karlsbad. Es wurde dann auf der Auktion am 30. November 1939 bei Lempertz in Köln angeboten. Erworben hatte es dort vermutlich Frau Käthe Wolff aus Köln, die das Gemälde noch im selben Jahr Hermann Göring zu Weihnachten schenkte.

Die Sammlung Arthur Maier, Karlsbad, wurde 1931 und 1932 in zwei Beiträgen von Otto Kletzl in der Kunstzeitschrift „Belvedere“ beschrieben.4 Darin wird ausgeführt, dass Arthur Maier 1904 das erste Gemälde für seine Sammlung erworben hatte. Die Sammlung bestand überwiegend aus italienischen Meistern. Das Gemälde aus der Albani-Werkstatt wurde von Kletzl besonders erwähnt, da es sich von anderen Darstellungen desselben Motivs abhebt.5

Die erneuten Recherchen ergaben Folgendes:6

Im Adressbuch von Karlsbad aus dem Jahr 1924 ist Arthur Maier als Fabrikant, Villa Splendit, Ludwig-Schäffler-Straße 24, aufgeführt. Der Deutsche Arthur Maier hatte mit der Deutschen Barbara Möller eine uneheliche Tochter, Marianne, die 1902 in Karlsbad geboren wurde.7 Ihr wurde die Vaterschaft durch Arthur Maier, der sich zum Judentum bekannte, vom Kreisamt in Karlsbad am 4. Juni 1943 [sic] zuerkannt. Sie erhielt daraufhin den Namen Maier. Bereits im Jahre 1926 heiratete Marianne Möller den 1891 in Vitkovice /Mähren geborenen Max Matella aus Karlsbad. Ihr Vater hatte ihr dann mit seinem am 14. Juni 1935 verfassten Testament die Villa Spendit als seiner Universalerbin übergeben. Arthur Maier starb nur wenige Wochen später am 8. Oktober 1935.

Nach Abschluss des Münchener Abkommens im Herbst 1938 wurde das Sudetenland vom Deutschen Reich besetzt. Im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden ist eine Liste überliefert, in der Akten des Oberfinanzpräsidenten Dresden verzeichnet sind.8 Der Oberfinanzpräsident war auch für Karlsbad zuständig. Auf dieser Liste sind alle Akten der Vermögensverwertungsstelle aufgeführt, die nicht mehr vorhanden sind. Arthur Maier ist unter der Nr. 3077 gelistet. Das ist ein Indiz dafür, dass die Vermögensgegenstände des Nachlasses von Arthur Maier im Visier der Finanzbehörden standen.

Auf der Grundlage des Dekretes des Präsidenten der tschechoslowakischen Republik vom 25.10.1945 wurde das Eigentum der Frau Matella mit Beschluss des Nationalen Kreisausschusses in Karlovy Vary vom 14.10.1946 beschlagnahmt. Gegen den Beschlagnahmebeschluss erhob Frau Matella Einspruch.9

Laut Einspruch der Frau Matella vom 13.11.1946 wurde sie nach der Besetzung Karlsbads durch die Deutschen als „Mischling ersten Grades“ verfolgt. Sie sei gezwungen worden, die Kunstsammlung ihres Vaters beim Auktionshaus Lempertz in Köln einzuliefern, weil sie auch Schulden vom Vater übernommen hätte. In der Lempertz-Auktion am 30. November 1939 wurden nachweislich 37 Kunstwerke aus der Sammlung Arthur Maier versteigert.10

1946 beschrieb Marianne Matella in ihrem Einspruch gegen die Beschlagnahme der Villa in Karlsbad ihre Situation unter der nationalsozialistischen Herrschaft so (Übersetzung aus dem Tschechischen): „Ich bin die Eigentümerin der Villa Splendit, Hausnummer 1075 in Karlovy Vary. Ich bin ein jüdischer Mischling und zwar die uneheliche Tochter des jüdischen Vaters Artur Maier und der Arierin Beta Möllerová [Möller]. Ich bin also ein Mischling ersten Grades. Ich war immer treu der Tschechoslowakischen Republik und habe mich nie gegen das tschechische oder slowakische Volk verschuldet. Ich habe unter dem Nazi-Terror gelitten. Von meinem Vater erbte ich auch eine Sammlung alter Gemälde und 1939 wurde ich gezwungen, diese Sammlung in Köln zu verkaufen. Gleich nach der Besetzung von Karlovy Vary wurde ich unaufhörlich von der Gestapo verfolgt. 1941 wurde mir amtlich mitgeteilt, dass die erbrechtliche Übertragung des Hauses auf mich nur gestattet [werden] kann, wenn ich das Haus nicht selbst verwalte, sondern ein geeigneter arischer Pächter. Mir wurde auch der Umgang mit den Kurgästen des Hauses verboten. Es ist selbstverständlich, dass ich als Mischling weder Mitglied der SDP noch NSDAP sein durfte. Während der Okkupation habe ich gemeinsam mit meinem Mann ausländischen Rundfunk gehört und die Nachrichten an zuverlässige Gäste weitergegeben. Kurz nach der Besetzung von Karlovy Vary durch die Deutschen und zwar am Tag, als die örtliche Synagoge niedergebrannt wurde, drang eine Horde von etwa 15 Nazis in mein Haus (gestrichen „Wohnung“) ein, um mich zu überfallen. Ich konnte mich nur dadurch retten, dass ich mich auf dem Dachboden meines Hauses versteckte, wo ich mich mehrere Tage verborgen hielt. Dadurch erlitt ich einen Nervenzusammenbruch. Mein Halbbruder Karel Vogt, unehelicher Sohn meines Vaters mit einer anderen Frau, starb 1941 in (gestrichen „Ostrava) einer Anstalt für geistig Kranke in Dob?any. Meine Mutter hat sich aufgrund der ständigen Verfolgung durch die Gestapo im November 1941 erhängt. Fast alle meine Verwandten kamen in den Konzentrationslagern in Theresienstadt und Auschwitz um. Die ganze Zeit der deutschen Besatzung dieses Gebietes wurde ich keine Angehörige des Deutschen Reiches, sondern war Angehörige des Protektorates. In den Jahren 1943 und 1944 wurde ich von zwei Kurgästen aus Berlin, und zwar Wilhelmine Birkners (Vilemína Birknersová) und Christine Oeser (Kristina Oeserová), die in meinem Haus wohnten, als Halbjüdin schwer beleidigt und beim Reichspropagandaministerium für mein „undeutsches“ Verhalten angezeigt. In den Jahren 1941 und 1942 wurde ich durch den hiesigen Oberbürgermeister aufgefordert, den Namen meines Hauses (Splendit) zu ändern, was [ich] aber trotz schriftlicher Aufforderung nicht tat. Als ich 1944 nicht der Aufforderung zur Zwangsarbeit nachkam, bekam ich es wieder mit der Gestapo zu tun. In meinem Haus wurden in den letzten drei Kriegsjahren weibliche Arbeitskräfte aus dem hiesigen Gerichtsgefängnis beschäftigt, die ich auf der Basis der im ausländischen Rundfunk gehörten Nachrichten informierte und mit Lebensmitteln unterstützte. Im April wurde ich dabei von einer der Gefangenen verraten und gegen mich wurde nur nichts unternommen, weil Deutschland bereits kurz vor dem Zusammenbruch stand. Da der Beschlagnahmebeschluss diese Umstände nicht berücksichtigt hat, ist der erhobene Vorwurf der Ungesetzlichkeit voll begründet. Deshalb schlage ich vor: dass der Nationale Landesausschuss in Prag diese Begründung anerkennt und die Beschlagnahme meines Eigentums aufhebt.“11

Da Marianne Matella ihre Aussagen 1946 gegenüber den tschechoslowakischen Beschlagnahmungsinstitutionen machte, wurden diese von der tschechischen Staatssicherheit überprüft. Entgegen den Angaben von Frau Matella kam die Staatssicherheit zu dem Schluss, dass die Kunstgegenstände bereits in Karlsbad verkauft wurden und dann erst nach Köln zur Auktion bei Lempertz gebracht wurden.12 Das auf RM 6.000 geschätzte Albani-Gemälde wurde dort im November 1939 für RM 7.100 verkauft.13 Da im Auktionskatalog der Einlieferer nicht genannt wird, sondern nur eine sudetendeutsche Sammlung, und keine Akten über diese Auktion zu finden sind, kann über den genauen Vorgang keine konkrete Aussage erfolgen.14 Auf der Auktion wurde das Gemälde wahrscheinlich von Käte Wolff erworben, die es nur wenige Wochen nach der Erwerbung zu Weihnachten 1939 an Hermann Göring verschenkte. Diese Vermutung geht auf eine Liste zurück, in der das Bild als in der Vorhalle zur Empfangshalle von Görings Wohnsitz Carinhall notiert ist.15 Das Bild wurde unter der Nummer „RM 99“ inventarisiert, wobei RM für „Reichsmarschall“ steht.

Unter deutscher Besatzung galt Marianne Matella als "Mischling ersten Grades". Sie blieb Eigentümerin des Hotels, das Ihr Ehemann verwaltete. Max Matella hatte 1939/1940 die deutsche Reichsbürgerschaft beantragt und erhalten. Es konnte bislang nicht ermittelt werden, wann und zu welchen Bedingungen Frau Matella das hier interessierende Gemälde verkaufte. Ein Antrag auf Rückgabe des Gemäldes auf der Grundlage der Washingtoner Prinzipien wurde von den Erben nach Frau Matella nicht gestellt.

Vor dem hier geschilderten Hintergrund bleibt die Provenienz ungeklärt, zumal alle Quellen ausgeschöpft sind. Anhaltspunkte für weitere Recherchen liegen derzeit nicht vor.

Stand: 2016

1 Für das Folgende vgl. Thieme/Becker 1999, Bd. 1, S. 172-177.
2 Schaack 1970, S. 253ff.
3 Für das Folgende vgl. BADV Berlin, Property Card, Mü-Nr. 15831/12. Weitere auf der Karteikarte vermerkte Inventarnummern sind Veldenstein 76 und 9359 (Blaustift). Auf der Karte ist vermerkt, dass das Gemälde in der Publikation von O. Kletzl erwähnt wurde.
4 Kletzl 1931, S. 150-153 und ders. 1932, S. 167-170.
5 Ebd., S. 152
6 Die Recherchen wurden im Auftrag des BADV von Facts & Files, Berlin, durchgeführt.
7 Für das Folgende vgl. das Schreiben des Landeskommando der SNB (Corps der Nationalen Sicherheit) Karlovy Vary, Karlovy Vary, 19.3.1948. In Kopie übersandt vom Staatlichen Gebietsarchivs in Plze?, Staatliches Kreisarchiv Karlovy Vary am 16.5.2008 an Facts & Files.

8 Auskunft des Sächsischen Hauptstaatsarchivs Dresden vom 20.2.2008 an Facts & Files, nebst Kopie der Liste.
9 Ebd.
10 Auk.kat. Italienische Gemälde des Quattrocento bis Settecento, niederländische und deutsche Gemälde 16.-18. Jh., Porzellan, Fayence etc., durch Lempertz, Köln, am 30.11.1939.
11 Einspruch an den Nationalen Kreisausschuss in Zlutice von Mariána Matellová vom 14.11.1946. In Kopie übersandt vom des Staatlichen Gebietsarchivs in Plze?, Staatliches Kreisarchiv Karlovy Vary vom 16.5.2008 an Facts & Files.
12 Auskunft des Staatlichen Gebietsarchivs in Plze?, Staatliches Kreisarchiv Karlovy Vary vom 16.5.2008 an Facts & Files.
13 Auk.kat. Italienische Gemälde des Quattrocento bis Settecento, Niederländische und deutsche Gemälde 16.-18. Jh., Porzellan, Fayence etc., durch Lempertz, Köln, am 30.11.1939. Ergebnis vgl. Kunstpreis-Verzeichnis 1941, Nr. 2681.
14 Auskunft vom Kunsthaus Lempertz, Köln, vom 26.3.2008 an Facts & Files.
15 BArch, B 323, Nr. 57.

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