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Vrancx, Sebastian

Wirtshausszene in Emmaus

Entstehungsjahr O. J.
Technik Öl auf Holz
Maße 41,5 x 54,0 cm
Münchener-Nr. 2342
Linz-Nr. 1379
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Sebastian Vrancx (1573–1647) war ein flämischer Landschafts- und Schlachtenmaler. Seine Ausbildung erhielt er bei Adam van Noort. Nach einer Italienreise, die Vrancx bereits in sehr jungen Jahren unternahm, wurde er als Meister in die Antwerpener Lucasgilde aufgenommen.[1] Seine Gemälde stellen zumeist kleinfigurige Gesellschaftsstücke in Parklandschaften, Volkszenen im Freien,  biblische Geschichten,  Allegorien oder Kriegsszenen dar.[2]

Das Gemälde zeigt ein römisches Wirtshaus im Freien mit reicher Staffage. Im Vordergrund befindet sich auf der linken Bildseite eine junge Frau, Wasser aus einem Ziehbrunnen schöpfend. Rechts von ihr steht ein Stallknecht, der ein abgesatteltes Pferd tränkt. Auf der rechten Bildseite ist eine Tischgesellschaft beim Kartenspielen dargestellt. Im Bildmittelgrund sitzt auf der linken Seite Christus mit den Jüngern unter einer Laube. Mittig befindet sich auf der Steintreppe vor dem Haus die Wirtin, welche die Hühner füttert. Am Fuße der Treppe steht der Wirt, einen durch das Tor ankommenden Reiter begrüßend. Im Hintergrund erhebt sich ein großer Rundturm in der Art des Grabes der Cäcilia Metella, der fast gänzlich vom Wirtshaus verdeckt wird. Der Blick führt in eine bebaumte Landschaft mit bewölktem Himmel.

Das Gemälde ist weder signiert noch datiert. Ein Etikett auf der Bildrückseite lässt vermuten, dass das Werk einmal Simon de Vlieger zugeschrieben wurde.

Folgende Hinweise können der Rückseite entnommen werden: in Rot „5“ (nicht identifiziert); weißes Etikett „5. S. de Vlieger […]“ (Simon de Vlieger, Künstler); in Bleistift „Hollander […]“ (nicht identifiziert); weißes Etikett „1484“ (nicht identifiziert); in Bleistift „Holländer […]“; in weiß „107“ (Los Nr. Lempertz 1940), „51“, „55“, „1/1“ (nicht identifiziert); rotes Siegel mit Wappen (nicht identifiziert); weißes Etikett mit Goldrand „III 13“ (nicht identifiziert); in Schwarz, zwei Mal „K1536“ (Kremsmünster); in Blau, eingerahmt, zwei Mal „0113“ (nicht identifiziert); in Blau „2342“ (Mü-Nr.), „15 cm breit“ (nicht identifiziert); blau umrandetes weißes Etikett, in Schwarz „1379/855“ (Linz-Nr.); Fragment eines weißen Etiketts (nicht identifiziert); Fragment eines weißen Etiketts „Gustav […]“ und […] Knau[…] 2183 Kunst-Abtei[…]“ (Gustav Knauer, Spediteur); weißes Etikett „Gustav Knauer 7643 Kunst-Abteilung“; weißes Etikett „Hollander […]“.



[1] Vgl. Hermann Arthur Lier, Vrancx, Sebastian, in: Allgemeine Deutsche Biographie 40 (1896), S. 372–373 [Online-Version]. URL: www.deutsche-biographie.de/pnd121320936.html#adbcontent [Abruf: 10.09.2018).
[2] Vgl. Ulrich Thieme/Felix Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 34, Leipzig 1999, S. 567.

Provenienz

Zeittafel
(…) 
Bis 1862Sammlung Heinrich Wilhelm Campe (1770–1862), Leipzig
Bis 1890Sammlung Heinrich Viewig (1826–1890), Braunschweig, erworben durch Erbgang
Vermutlich 1909–01./02.02.1940Helene Tempelmann (1868–1939), geb. Viewig, Schloss Wendhausen bei Braunschweig, ihre Nachlassauktion im Kunsthaus Lempertz, Köln
(…) 
O. J.Herr Schantung, Berlin und/oder Kunsthandlung Schumann, Frankfurt am Main
Januar 1941Galerie Almas, München
Januar 1941Reichsvermögen („Sonderauftrag Linz“)
Ab Sommer 1943Eingang in das Bergwerk Alt-Aussee
02.07.1945Eingang in den Central Collecting Point München
Seit 1949Bundesvermögen

Die „Wirtshausszene“ von Vranxc gehörte einst zur Sammlung Heinrich Wilhelm Campe (1770–1862), ein Leipziger Buchhändler sowie eifriger Sammler von Bildern und Grafiken.[1] Nach seinem Tod im Jahre 1862 verblieb das Werk in Familienbesitz und wurde später Teil der Sammlung von Heinrich Rudolf Viewig (1826–1890), einem Enkelsohn des Vorgenannten. Viewig war ebenfalls als Buchhändler tätig und leitete das Verlagshaus Friedrich Vieweg & Sohn in Braunschweig.[2] Betreut durch Wilhelm von Bode (1845–1929), baute er eine ansehnliche Kunstsammlung auf.[3] Viewig war verheiratet mit Helene Brockhaus (?–1909). Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Der Sohn Eduard Viewig verstarb bereits früh, sodass Tochter Helene Tempelmann (1868–1939[4]), geborene Viewig, nach dem Ableben der Eltern alleinige Erbin wurde.[5]

Das Gemälde gelangte auf diesem Wege in ihr Eigentum. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Verlagsbuchhändler Bernhard Tempelmann (1862–1919), lebte Helene Tempelmann auf Schloss Wendhausen bei Braunschweig.[6] Sie war protestantischen Glaubens und zählte laut Auskunft des Braunschweiger Stadtarchivs nicht zum Kreis der NS-Kollektivverfolgten. Die „Wirtshausszene“ stand als Teil der Sammlung Vieweg bereits am 18. März 1930 im Auktionshaus Rudolph Lepke in Berlin zum Verkauf.[7] Sie wechselte jedoch erst im Rahmen der Nachlassauktion Helene Tempelmanns am 1./2. Februar 1940 beim Kunsthaus Lempertz den Eigentümer. Im zugehörigen Auktionskatalog ist das Werk unter Los Nummer 107 verzeichnet und abgebildet.[8] Laut Auskunft des Auktionshauses liegen heute keine Informationen mehr zum Käufer des Werkes vor.[9]

Bisher nicht identifiziert werden konnte ein rotes Siegel auf der Bildrückseite. Auch finden sich hier drei Etiketten der Spedition Gustav Knauer. Das Unternehmen wurde 1885 in Berlin gegründet und unterhielt unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg weitere Niederlassungen in Breslau, Wien und Paris. Neben Möbeln und Einrichtungsgegenständen, transportierte Knauer ab 1933 zunehmend auch Kunstgegenstände, darunter Beschlagnahmegut aus deutschen Museen. Im Zuge des Krieges wurden die Geschäfts- und Lagerräume der Spedition Knauer in großen Teilen zerstört. Die Geschäfte konnten jedoch schon kurz nach 1945 wiederaufgenommen werden.[10]

Seit spätestens Januar  1941 befand sich das Gemälde bei der Münchener Galerie Almas. Maria Almas-Dietrich (1892–1971), geborene Dietrich, betrieb nach eigenen Angaben seit 1918 eine Kunsthandlung in München.[11] Im Jahre 1921 heiratete sie den türkischen Staatsbürger Ali Almàs-Diamant und trat zum Judentum über. Seit 1926 lebten sie jedoch in Trennung, 1937 erfolgte die Scheidung. Der Name „Almas“ blieb jedoch für die Galerie erhalten. Nach eigenen Angaben lernte Almas-Dietrich im Jahre 1936 Heinrich Hoffmann (1885–1957), den Fotografen Adolf Hitlers, kennen und erhielt über diesen erste Aufträge, Kunst für Hitler zu erwerben. Fortan entwickelte sie sich zu den aktivsten Vermittlern von Kunst an die Nationalsozialisten. Zwischen 1936 und 1944 verkaufte Almas-Dietrich über eintausend Kunstwerke an Hitler und zählt damit zu den Kunsthändlern mit der größten Anzahl an Hitler verkauften Kunstwerken. Am 15. Januar 1940 wurde sie aufgrund einer eidesstattlichen Erklärung, dass sie keine Jüdin sei, im Deutschen Reich eingebürgert. Nach der Zerstörung ihrer Galerie bei einem Luftangriff am 20. April 1944 wurde der Betrieb in die eigene Villa an der Gustav-Freytag-Str. 5 im Herzogpark verlagert. Die amerikanische Besatzungsbehörde vernahm Maria Almas-Dietrich nach 1945 mehrfach zu ihren Geschäften. Dabei wurden auch Unterlagen wie Geschäftsbücher beschlagnahmt und durch die Division MFA&A ausgewertet.[12]

Laut eigener Aussage, erwarb Almas-Dietrich das Gemälde „von Herrn Schantung, Berlin“.[13] Zur Person Schantung ist derzeit nichts bekannt. Auf der Property Card zum Werk ist weiterhin vermerkt: „Almas v. Kunsth. Schumann, Frankft./M.“. Gesicherte Informationen zum tatsächlichen Erwerbungsvorgang liegen nicht vor. Möglich wäre, dass Almas-Dietrich das Gemälde über die Kunsthandlung Schumann von Schantung erwarb.

Über Dr. Hans Posse (1879–1942) wurde das Gemälde im Januar 1941 für den „Sonderauftrag Linz“ von der Galerie Almas angekauft. Dr. Hans Posse wurde im Jahr 1879 als Sohn des Direktors des Sächsischen Hauptstaatsarchivs und Geheimrats Otto Adalbert Posse (1847–1921) in Dresden geboren.[14] Er studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte in Marburg sowie Wien und promovierte im Jahre 1903 mit einer Arbeit über den italienischen Maler Andrea Sacchi (1599–1661). Im selben Jahr erhielt er eine Anstellung als Volontär am Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, wo er alsbald zum Assistenten von Wilhelm von Bode (1845–1929) aufsteigen konnte. Nach Studienaufenthalten in Florenz und Rom wurde Posse im Alter von nur 31 Jahren als Direktor der Gemäldegalerie nach Dresden berufen.

Ab dem 1. Juli 1939 war Posse als Sonderbeauftragter Adolf Hitlers (1889–1945) mit dem Aufbau einer Kunstsammlung für das geplante „Führermuseum“ in Linz  („Sonderauftrages Linz“) betraut. Unter seiner Leitung wurden 2.470 Kunstwerke für das Museum in Linz angekauft.[15]

Am 7. Dezember 1942 verstarb Posse in Berlin. Teile seines Nachlasses befinden sich heute in der Kunstverwaltung des Bundes, im Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sowie im Archiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Letzteres verwahrt unter anderem die von Posse geführten Tagebücher aus den Jahren 1936 bis 1942. Diese enthalten zwar Notizen bezüglich des Ankaufs von Kunstwerken, jedoch wurden im Rahmen von Recherchen keine Hinweise zum Ankauf von Kunstwerken für seine private Kunstsammlung gefunden.

Das Gemälde wurde im "Sonderauftrag Linz" unter der Linz-Nr. 1379 inventarisiert.

Die Nummer K1536 auf der Property Card sowie auf der Bildrückseite weist auf die Lagerung des Gemäldes im Depot Kremsmünster hin.[16] Das beschlagnahmte Stift Kremsmünster in Österreich war das erste Auslagerungsdepot des „Sonderauftrages Linz“. Ab Mai 1941 wurden hier Kunst- und Kulturgüter untergebracht, die für das „Führermuseum“ erworben wurden.[17] Aus Sorge vor Luftangriffen, wurde das Depot bereits 1943 aufgelöst und dort gelagerte Objekte zunächst in Depots in Hohenfurt sowie Thürntal umgelagert.[18]

Um das Werk vor Kriegseinwirkungen zu schützen, erfolgte ab 1943 die Einlagerung in das Salzbergwerk Alt-Aussee in der Steiermark. Nach Sicherstellung durch US-Soldaten wurde es am 2. Juli 1945 in den Central Collecting Point in München verbracht.[19] Am 1. Dezember 1948 übergab die amerikanische Militärregierung das Kunstwerk mit allen ebenfalls  bis dahin nicht bereits restituierten Kunstgegenständen in die Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten, Hans Ehard (1887–1980). Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Werk 1949 gemäß Artikel 134 Grundgesetz Bundesvermögen.

Vor dem hier geschilderten Hintergrund bleibt nach dem bisherigen Kenntnisstand die Provenienz ungeklärt. [20]

Bearbeitungsstand: 2018

[1] Vgl. Auk.kat. Sammlung Viewig Braunschweig, Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus, Berlin, 18.03.1930, o. S.

[2] Vgl. Viewig Verlagsgesellschaft mbH (Hg.), Verlagskatalog von Friedrich Vieweg & Sohn in Braunschweig, 1786–1911: Herausgabe aus Anlass des hundertfünfundzwanzigjährigen Bestehens der Firma, gegründet April 1786, Braunschweig 1911, S. XXXVIII.

[3] Vgl. Auk.kat. Lepke, 18.03.1930, o. S.

[4] Laut Sterbeurkunde verstarb Helene Tepelmann am 13.02.1939.

[5] Nach dem Tod von Heinrich Viewig ging die Firma an seine Witwe sowie Tochter Helene über. Vermutlich übernahm letztere das Gemälde nach dem Tod der Mutter im Jahre 1909. Vgl. Viewig Verlagsgesellschaft mbH 1911, S. XLIII.

[6] Schloss Wendhausen wurde 1836 von Familie Viewig gepachtet und 1873 erworben. Im Jahre 1941 ging es in das Eigentum der Stadt Braunschweig über.

[7] Vgl. Auk.kat. Sammlung Viewig Braunschweig, Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus, Berlin, 18.03.1930, S. 46, Los 39, Abb. Tafel 12.

[8] Vgl. Auk.kat. Nachlass Frau Helene Tempelmann, geborene Viewig auf Schloss Wendhausen bei Braunschweig, Kunsthaus Lempertz, Köln, 01./02.02.1940, S. 32, Los 107 (Provenienz: Sammlung H.W. Campe), Abb. Tafel 7.

[9] Vgl. Schreiben vom Kunsthaus Lempertz an das BADV vom 07.02.2006. Demnach fiel das gesamte Firmenarchiv einem Luftangriff während des Zweiten Weltkrieges zum Opfer.

[10] Vgl. Christine Fischer-Defoy, Kaspar Nürnberg, Zu treuen Händen. Eine Skizze über die Beteiligung von Berliner Speditionen am Kunstraub der Nationalsozialisten, in: Aktives Museum, Faschismus und

Widerstand in Berlin e. V., Mitgliederrundbrief Nr. 65, Juli 2011, S. 11f. URL: www.aktives-museum.de/fileadmin/user_upload/Extern/Dokumente/rundbrief_65.pdf [Abruf: 27.08.2017].

[11] Vgl. BWA, K1, XVA, 10c, 264, Akt Fall 33.

[12] Vgl. NARA, RG 260, 519, Box 445.

[13] Vgl. BArch Koblenz, B323/653. Laut Aussage von Almas-Dietrich vom 14.08.1951.

[14] Für das Folgende vgl. Leibniz-Gemeinschaft, Digiporta. Digitales Porträtarchiv, Hans Posse. URL: www.digiporta.net/pdf/GNM/Posse_110778888.pdf [Abruf: 14.02.2019]. Siehe auch: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gilbert Lupfer, Thomas Rudert (Hgg.), Kennerschaft zwischen Macht und Moral. Annäherungen an Hans Posse (1879–1942), Köln/Weimar/Wien 2015.

[15] Vgl. Hanns Christian Löhr, Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der „Sonderauftrag Linz“. Kunstbeschaffung im Nationalsozialismus, Berlin 2016, S. 46.

[16] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 2342.

[17] Vgl. Kathrin Iselt, „Sonderbeauftragter des Führers“. Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884–1969), Köln 2010, S. 217.

[18] Vgl. Löhr 2016, S. 54.

[19] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, zugehörige Property Card des CCP München.

[20] Überprüft wurden folgende Verlustdatenbanken und digitalisierte Archivunterlagen zum verfolgungsbedingten Entzug von Kulturgütern im Nationalsozialismus sowie historische Auktionskataloge: (1) LostArt Datenbank, Deutschland (www.lostart.de) (2) The Central Registry of Information on Looted Cultural Property 1933–1945, Object Database, Großbritannien (www.lootedart.com) (3) Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, Database of Art Objects at the Jeu de Paume (www.errproject.org) (4) Répértoire des biens spoliés, Frankreich (www.culture.gouv.fr/documentation/mnr/MnR-rbs.htm) (5) The Getty Research Institute, German Sales Catalogs, 1930–1945, USA (http://piprod.getty.edu/starweb/pi/servlet.starweb?path=pi/pi.web) (6) Universität Heidelberg, Auktionskataloge – digital, Deutschland (http://artsales.uni-hd.de) (7) Galerie Heinemann online, Deutschland (http://heinemann.gnm.de/de/recherche.html) (8) Lootedart, Polen (http://lootedart.gov.pl/en) (9) NARA, Holocaust-Era Assets, USA (www.fold3.com) [Abruf: 20.08.2018].

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