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Spitzweg, Carl

Fiat Justitia

Entstehungsjahr um 1860
Technik Öl auf Leinwand
Maße 49 x 27 cm
Münchener-Nr. 9629
Linz-Nr. 62
Herkunft Kulturgüter aus ehem. Reichsvermögen

Beschreibung

Der Maler und Illustrator Carl Spitzweg (1808–1885) gelangte auf dem Umweg des Pharmaziestudiums zu seiner künstlerischen Berufung.[1] Während eines Italienaufenthaltes 1832/33 kam Spitzweg mit einem kleinen Kreis von Künstlern zusammen, darunter Christian Heinrich Hanson (1790–1863), die ihn nachdrücklich prägten. Er entschloss sich, Maler zu werden, hielt sich aber zu alt für ein Akademiestudium. Stattdessen studierte und kopierte er alte Meister und berühmte Zeitgenossen. Im Jahre 1844 kam es zu einer Mitarbeit an dem humoristisch-satirischen und reich illustrierten Wochenblatt „Fliegende Blätter“. Die letzten 34 Lebensjahre verbrachte Spitzweg in beschaulicher Ruhe als Junggeselle in München und malte überwiegend kleinformatige Genrebilder, die Menschen in ihrem bürgerlichen Milieu darstellen. Abgelehnt vom offiziellen Münchener Kunstbetrieb erfreute sich seine Kunst bereits zu seinen Lebzeiten in Sammlerkreisen einiger Beliebtheit. Spitzweg hinterließ ein umfangreiches Œuvre.

Das Gemälde zeigt im Vordergrund eine Steintreppe. Auf einem Sockel der Treppe steht frontal zum Betrachter die marode Figur einer Justitia. In ihrer linken Hand hält sie eine kaputte Waage, das Schwert in ihrer rechten Hand ist ebenfalls beschädigt. Auf der Höhe der Füße geht ein Riss durch die Statue. Im schattigen Hintergrund versteckt lugt ein Stadtsoldat hinter einer Hausecke hervor.

Das Werk ist links unten bezeichnet, eingeritzt, „S“ im Rhombus sowie vom Künstler im Architrav oben bezeichnet „XII MDCCCL VII“.[2] 

Das Gemälde ist in den Werkverzeichnissen von Roennefahrt (1960)[3] und Wichmann (2002)[4] enthalten. Weitere Varianten des Werktitels sind: „Das Auge des Gesetzes (Justitia)"[5], „Auf der Lauer"[6], „Justitia und der Polizeidiener“[7] oder „Die Gerechtigkeit wacht“[8].

Folgende Hinweise können der Rückseite entnommen werden: weißes, blau umrandetes Etikett mit perforiertem Rand „62“ (Linz-Nr.), darunter teilweise überklebtes Etikett „[FOTO …]“ (nicht identifiziert); in blauer  Fettkreide „9629“ (Mü-Nr.), „Lanna […]“ (Adalbert Ritter von Lanna, Prag), „K[?] 203“ (nicht identifiziert); vergilbtes Etikett mit perforiertem Rand „Fiat Justitia ! / v. Spitzweg, Carl / 49 x 27 / Lfd. Nr. 25“ (nicht identifiziert), darauf in Bleistift Objektnummer; mehrere Etiketten und Stempel ehemaliger Leihnehmer (nach 1945); in Bleistift „9833“ (nicht identifiziert); in Rot „4“ im Kreis (nicht identifiziert); runder Stempel in Blau „Zen[…]stelle für Denkmalschutz“ (Österreichische Zentralstelle für Denkmalschutz Wien, 1934-1. April 1938).

[1] Für das Folgende vgl. Ulrich Thieme/Felix Becker (Hgg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 31/32, Leipzig 1999, S. 394f.

[2] Vgl. Siegfried Wichmann, Carl Spitzweg. Verzeichnis der Werke, Stuttgart 2002, S. 415, Nr. 1005.

[3] Vgl. Günther Roennefahrt, Carl Spitzweg. Beschreibendes Verzeichnis seiner Gemälde, Ölstudien und Aquarelle, München 1960, S. 226, Nr. 847.

[4] Vgl. Wichmann 2002, S. 415, Nr. 1005.

[5] Vgl. Wichmann 2002, S. 415, Nr. 1005 und Roennefahrt 1960, S. 226, Nr. 847.

[6] Ausst.kat. Ausstellung Deutscher Kunst aus der Zeit von 1775-1875 in der Königlichen Nationalgalerie Berlin 1906, Nr. 1662, Abb. Kat. Bd. I, Taf. 89. 

[7] Galerie Heinemann online, Recherche, Heinemann-Nr. 19546, URL: http://heinemann.gnm.de/de/kunstwerk-10733.htm [Abruf: 18.03.2020].

[8] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Archiv Kunstverwaltung des Bundes, Schreiben des Anspruchstellers vom 24.05.2006.

Provenienz

Zeittafel
Bis mindestens 1887Nachlass des Künstlers
(...) 
Spätestens ab 1906Adalbert Ritter von Lanna (1836–1909), Prag
(…) 
Bis 15.06.1937Leo Bendel (1868–1940), Berlin
15.06.1937 – 19.04.1938Galerie Heinemann, München
Ab 19.04.1938Galerie Almas, München
Vor Sommer 1938Reichsvermögen („Sonderauftrag Linz“)
Ab Sommer 1943Eingang in das Bergwerk Alt-Aussee
15.10.1945Eingang in den Central Collecting Point München
1949– 2019Bundesvermögen
2019Restitution

Bis mindestens 1887 befand sich das Gemälde bei den Erben des Künstlers.[1]

Für 1906 ist der böhmische Industrielle Adalbert Ritter von Lanna (1836–1909) als Besitzer belegt.[2] Sein Nachlass wurde zwischen 1909 und 1912 in mehreren Auktionen in Berlin, Stuttgart und Wien veräußert. Das Gemälde der Justitia findet sich nicht unter den dabei angebotenen Losen. 

Laut Werkverzeichnis (Wichmann) verkaufte Richard Spitzweg (1888–1950), der Großneffe des Künstlers, das Gemälde 1936 an die Galerie Heinemann, München.[3] Weitere Recherchen haben hingegen ergeben, dass der Kaufmann Leib, genannt Leo, Bendel (1868–1940) das Gemälde im Juni 1937 an die Galerie veräußerte.[4]

Der in Strzyzow (Polen) geborene Leo Bendel wohnte laut Eintragungen im Jüdischen Adressbuch seit 1915 in Berlin.[5] Er war unter anderem als Vertreter für die Tabakfirma „JOB“ tätig und seit 1920 mit Else Helene Marie Golze (1887–1957) verheiratet. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft zählte er zum Personenkreis der zwischen 1933 und 1945 aus rassischen Gründen Kollektivverfolgten. Im Jahre 1935 wurde Bendel entlassen. Das Ehepaar zog im März desselben Jahres innerhalb Berlins in eine kleinere Wohnung. Ihre Einrichtung veräußerten sie zwischen Herbst 1935 und Sommer 1937. Im Juni 1937 gingen die Eheleute nach Wien. Im Zusammenhang mit der Emigration verkaufte Bendel am 15. Juni 1937 das Spitzweg-Gemälde an die Kunsthandlung Heinemann in München. Wann und von wem er das Gemälde zuvor erwarb, konnte nicht ermittelt werden. Anhand eines auf der Rückseite aufgebrachten Stempels der „Zentralstelle für Denkmalschutz“ ist davon auszugehen, dass das Werk nach 1934 aus Österreich ausgeführt wurde. In diesem Jahr war Bendel in Wien gemeldet.[6] 

Die Galerie Heinemann wurde im Jahre 1872 von David Heinemann (1819–1902) mit Schwerpunkt auf Werken deutscher Künstler des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in München gegründet.[7] Bis zu ihrer „Arisierung“ im Jahre 1938 zählte die Galerie zu den bedeutendsten Kunsthandlungen in Deutschland und pflegte einen internationalen Kundenstamm. Das Geschäft führte mehrere Dependancen, unter anderem in Frankfurt am Main, Nizza und New York. Im Jahre 1890 übernahmen die Söhne von David Heinemann die Galerie. Während Hermann Heinemann (1857–1920) und Theobald Heinemann (1860–1929) das Münchner Geschäft leiteten, stand der älteste Bruder Theodor Heinemann (1855–1933) bis 1914 der New Yorker Dependance vor. Nach dem Tod Theobald Heinemanns im Jahre 1929 führte seine Witwe Franziska Heinemann (1882–1940) gemeinsam mit dem Sohn Fritz Heinemann (1905–1983) die Galerie fort. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war die Familie Heinemann aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von den nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen. Fritz Heinemann schied im Januar 1938 aus dem elterlichen Kunsthandel aus und emigrierte im Mai desselben Jahres in die Schweiz. Seinen Anteil am Geschäft übernahm Friedrich Heinrich Zinckgraf (1878–1954), ein langjähriger Mitarbeiter der Galerie Heinemann.[8] Nach den Pogromen am 9. November 1938 wurde auch der Geschäftsanteil von Franziska Heinemann durch Zinckgraf „arisiert“. Dieser wurde nach komplizierten Verhandlungen jedoch erst Ende 1939 alleiniger Inhaber der Galerie, die er im Mai 1941 in „Galerie am Lenbachplatz“ umbenannte. Franziska Heinemann reiste im Februar 1939 in die USA aus.

Gemäß Unterlagen der Galerie Heinemann befand sich das Gemälde vom 23. bis 30. August 1937 in Kommission bei „Vömel, Düsseldorf“.[9] Vermutlich handelt es sich dabei um den Kunsthändler Alex (eigentlich Alexander) Vömel (1897–1985), der im März 1933 die Düsseldorfer Galerie von Alfred Flechtheim (1878–1937) übernommen hatte.

Der gelernte Buchhändler Vömel war ab 1922 Mitarbeiter bei Flechtheim.[10] Bald übernahm er eine führende Rolle innerhalb der Düsseldorfer Galerie und wurde 1926 dessen Geschäftsführer. Im selben Jahr heiratete er Martha Suermondt (1897–1976), die vermögenden Witwe des Sammlers und Kunsthistorikers Edwin Suermondt (1883–1923). In den bis dato von Flechtheim angemieteten Galerieräumen auf der Königsallee eröffnete Vömel im März 1933 eine eigene Galerie. Im Mai 1933 erlosch seine Prokura für die Galerie Flechtheim. Eine „Arisierung“ im Zusammenhang mit diesem Wechsel ließ sich nicht belegen. Vömel hielt mit Flechtheim, der 1933 über die Schweiz und Paris schließlich 1934 nach London ausgewandert war, weiter Kontakt. Mit der Zerstörung der Galerie und der Wohnung Alex Vömels 1943 sind die Geschäftsunterlagen der Galerie Alex Vömel vernichtet worden.

Am 13. April 1938 übernahm Maria Almas-Dietrich (1892–1971) das Gemälde von Heinemann zunächst ebenfalls in Kommission. Kurz darauf, am 19. April 1938, erwarb sie es für RM 250.000,-, um es anschließend an den „Sonderauftrag Linz“ zu verkaufen.[11] Das Gemälde erhielt dort die Linz-Nr. 62.[12]

Maria Almas-Dietrich, geborene Dietrich, betrieb nach eigenen Angaben seit 1918 eine Kunsthandlung in München.[13] Im Jahre 1921 heiratete sie den türkischen Staatsbürger Ali Almàs-Diamant und trat zum Judentum über. Seit 1926 lebten sie jedoch in Trennung, 1937 erfolgte die Scheidung. Der Name „Almas“ blieb jedoch für die Galerie erhalten. Nach eigenen Angaben lernte Almas-Dietrich im Jahre 1936 Heinrich Hoffmann (1885–1957), den Fotografen Adolf Hitlers, kennen und erhielt über diesen erste Aufträge, Kunst für Hitler zu erwerben. Fortan entwickelte sie sich zu den aktivsten Vermittlern von Kunst an die Nationalsozialisten. Zwischen 1936 und 1944 verkaufte Almas-Dietrich über eintausend Kunstwerke an Hitler und zählt damit zu den Kunsthändlern mit der größten Anzahl an Hitler verkauften Kunstwerken. Am 15. Januar 1940 wurde sie aufgrund einer eidesstattlichen Erklärung, dass sie keine Jüdin sei, im Deutschen Reich eingebürgert. Nach der Zerstörung ihrer Galerie bei einem Luftangriff am 20. April 1944 wurde der Betrieb in die eigene Villa an der Gustav-Freytag-Str. 5 im Herzogpark verlagert. Die amerikanische Besatzungsbehörde vernahm Maria Almas-Dietrich nach 1945 mehrfach zu ihren Geschäften. Dabei wurden auch Unterlagen wie Geschäftsbücher beschlagnahmt und durch die Division MFA&A ausgewertet.[14]

Bendel wurde im September 1939 von der Gestapo verhaftet und in das  Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er am 30. März 1940 verstarb.[15]

Um das Gemälde vor Kriegseinwirkungen zu schützen, erfolgte ab 1943 die Einlagerung in das Salzbergwerk Alt-Aussee in der Steiermark. Nach Sicherstellung durch US-Soldaten wurde es am 15. Oktober 1945 in den Central Collecting Point in München verbracht.[16] Am 1. Dezember 1948 übergab die amerikanische Militärregierung das Kunstwerk mit allen ebenfalls  bis dahin nicht bereits restituierten Kunstgegenständen in die Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten, Hans Ehard (1887–1980). Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Werk 1949 gemäß Artikel 134 Grundgesetz Bundesvermögen.

Die Provenienz ist geklärt. Ein NS-verfolgungsbedingter Entzug an diesem Kulturgut und die Rechtsnachfolge des ursprünglichen Eigentümers wurden ermittelt. Die Restitution ist durch Unterzeichnung der Rückgabevereinbarung erfolgt.

Stand: 2020

[1] Ausst.kat. Spitzweg, Rudolfinum, Prag, 1887,  Nr. 69, laut Wichmann 2002, S. 415, Nr. 1005.

[2] Ausst.kat. Königlichen Nationalgalerie Berlin, 1906, Nr. 1662, Abb. Kat. Bd. I, Taf. 89. 

[3] Vgl. Wichmann 2002, S. 415, Nr. 1005.

[4] Galerie Heinemann online, Recherche, Heinemann-Nr. 19546, URL: http://heinemann.gnm.de/de/kunstwerk-10733.htm [Abruf: 18.03.2020].

[5] Landesarchiv Berlin, Berliner Adressbücher.

[6] Eine Abmeldung nach Berlin erfolgte am 05.03.1935. Laut Meldezettel für Unterparteien vom 14.08.1934, als Kopie im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes.

[7] Für das Folgende vgl. Geschichte der Galerie Heinemann. URL: http://heinemann.gnm.de/de/geschichte.html [Abruf: 06.03.2019].

[8] Für das Folgende vgl. Birgit Jooss, Galerie Heinemann. Die wechselvolle Geschichte einer jüdischen Kunsthandlung zwischen 1872 und 1938, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2012, S. 69–84, hier S. 81f. URL: https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/2754/1/Jooss_Galerie_Heinemann_2012.pdf [Abruf: 06.03.2019].

[9] Für das Folgende siehe Galerie Heinemann online, Recherche, Heinemann-Nr. 19546, Kartei Lagerbücher, URL: http://heinemann.gnm.de/de/kunstwerk-10733.htm [Abruf: 18.03.2020].

[10] Für Folgendes vgl. Projekt alfredflechtheim.com, ULR: http://alfredflechtheim.com/alfred-flechtheim/whos-who/ [Abruf: 20.04.2020].

[11] Vgl. NARA, RG 260, Ardelia Hall Collection: Munich Central Collecting Point, 1945-1951, URL: www.fold3.com/image/270222489 [Abruf: 25.03.2020].

[12] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 9629.

[13] Vgl. Bayerische Wirtschaftsarchiv, K1, XVA, 10c, 264, Akt Fall 33.

[14] Vgl. NARA, RG 260, 519, Box 445.

[15] Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, KZ und Haftanstalten Buchenwald.

[16] Vgl. Bundesrepublik Deutschland, Kunstverwaltung des Bundes, Property Card des CCP München, Mü-Nr. 9629.

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